Montag, 8. März 2010

Ohne Arzt hat der Patient ausgeschissen*

Grau ist alle Theorie

Vergangenen Monat konnten wir über einen Patienten aus Franken berichten, der seit Anfang Januar medizinisches Cannabis aus der Apotheke erhält. Laut der „Main-Post“ gäbe es in der Region bereits drei Patienten, die Hanf als Medizin aus der Apotheke bezögen. Auch unserer Redaktion ist aufgefallen, dass es vermehrt Berichte zum „Apothekengras“ gibt, von denen aber keiner auf die immer noch paradoxe Situation der meisten Patienten eingehen, sondern den Tenor „Toll, jetzt gibt’s Gras auch in der Apotheke, angeblich hilft es sogar“ verbreiten. So viel heile Welt macht uns stutzig. Eine Nachfrage bei einigen der Redaktion bekannten SCM-Mitgliedern hat die ganze Sache dann auch ein wenig relativiert: Die Lage hat sich in einigen Aspekten geringfügig verbessert, in der Praxis ist die Versorgung mit medizinischem Cannabis immer noch mit überwindbaren bürokratischen, dafür aber mit unüberwindbaren finanziellen Hindernissen verbunden. Die Hauptlast hat der Patient zu tragen, einen Teil der unnötig entstehenden Kosten übernimmt jedoch auch die Gemeinschaft der Versicherten. Denn die Krankenkassen sind eine der Hauptschuldigen der Misere und blockieren zusammen mit den Pharmaunternehmen die Verschreibungsfähigkeit und somit die Kostenübernahme von Dronabinol oder Cannabis Blüten. Studien aus anderen Ländern hierzu werden auf diesem Gebiet nicht anerkannt und Schwarz/Gelb gibt keine in Auftrag, weil es hierzu ja Modellprojekte geben müsste. „Es ist verboten, weil es gefährlich ist und gefährlich, weil es verboten ist“. Erinnert an §175 StgB (Diskriminierung von Homosexuellen, wurde 1994 ersatzlos gestrichen). Selbst Erlaubnisinhaber können sich nicht legal versorgen, weil sowohl Dronabinol als auch die Cannabisblüten aus der Apotheke zwischen 500 und 2500 Euro/Monat kosten.

Informierte Ärzte sind selten
Das ist auch einer Grund, weshalb Ärzte in Deutschland so selten Cannabis-Medizin verschreiben: Es ist zwar legal, jedoch auch oft für den behandelten Arzt zeit- sowie arbeitsaufwendig und nicht selten mit unangenehmen Nachfragen an den behandelten Arzt seitens der Kassen verbunden. Hinzu kommt, dass die wenigsten Mediziner hierzulande mit den zahlreichen Indikationen vertraut sind, die jüngst entdeckt wurden: Bei der Alkoholentwöhnung, Migräne, Epilepsie, Alzheimer, Diabetes und sogar Schizophrenie wird Cannabis nicht nur in Kalifornien bereits erfolgreich eingesetzt, gegenüber der landläufigem Meinung kann Cannabis bei Schizophrenie den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen1 Allerdings liegt das nicht unbedingt an der ablehneden Haltung der niedergelassenen Ärzte, der Aufklärungsnotstand der Gesundheitsbehörden gegenüber der Ärzteschaft trägt ihren Teil zur Misere bei. In Duisburg musste sich im Januar 2009 ein der Redaktion bekannter Epileptiker und illegalisierter Cannabis-Patient von seinem Hausarzt auslachen lassen. Er hatte bis vor vier Jahren trotz starker Medikamente regelmäßig Anfälle. Seit er vor Jahren begonnen hatte, Cannabis illegal als Medizin zu nutzen, hatte er keinen mehr. Trotz der eindeutigen Lage weigert sich der Arzt, ihm bei dem Erhalt eines Dronabinol Rezepts zu unterstützen. Stattdessen fängt er an zu lachen, als er die Option von medizinischen Cannabisblüten aus deutschen Apotheken erfährt. Haha. Mittlerweile hat er einen Patienten verloren, der sich jetzt in besseren Händen befindet. Selbstredend nur mit Hilfe von Insidern, die „ihren“ Arzt vertrauensvoll weiterempfehlen. So oder ähnlich ergeht es den meisten, die ihre illegalisierte Medizin endlich legal erhalten möchten.

Fehlende Alternativen zur Kostenintensität
Patienten haben, abgesehen von der mangelnden Qualität der illegal erworbenen Medizin, viele Gründe zum rettenden Strohhalm der „Eigenversorgung“ zu greifen und werden im Falle einer Strafverfolgung in der Regel aufgrund eine „gerechtfertigten Notstands nach Paragraf …“ freigesprochen, wenn das Rezept vor der Strafverfolgung vorlag. Theoretisch dürfen Erlaubnisinhaber auch einen Antrag zur „Selbstversorgung“ stellen, allerdings wird der abgelehnt oder, wie bis dato einmal geschehen, mit in der Praxis unerfüllbaren Auflagen verknüpft. Ein Ex-Junkie, der sein Methadon nach einem Jahr mit nach Hause nehmen darf, muss seine für andere tödliche Medizin lediglich sicher im Arzneischrank verwahren.
Ein Cannabispatient müsste seine Wohnung festungsähnlich umbauen. Tut er das nicht und baut trotzdem an, gibt der Staat Unmengen für seine Verfolgung aus, um ihn dann aus oben genannten Gründen wieder freizusprechen.

Synthetisiertes THC verspricht hohe Gewinne – pflanzliches hingegen nicht
Die Basis für eine erfolgreiche und kostengünstige Cannabinoidmedizin soll gar nicht entstehen, ohne dass die üblichen Verdächtigen ihren Teil vom Kuchen erhalten. Ginge es nach ihnen, sollten die Patienten warten, bis alle Cannabinoide synthetisiert sind und von der Pharmabranche gewinnbringend vermarktet werden können. In Tablettenform. Jetzt müssten wir lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Cannabinoid-Forschung kann nur mit Berücksichtigung der natürlichen und kostengünstigen Alternative, dem Cannabis-Kraut, betrieben werden. Ansonsten müssen die Beteiligten weiterhin mit den Vorwurf leben, mit Hilfe ihrer mächtigen Lobby die längst überfällige Wende in der Gesundsheits- und Drogenpolitik zu blockieren, indem der illegalisierte Status ausgenutzt und vorsätzlich aufrecht erhalten wird, das Potenzial der Pflanze kleinzureden und zu verschweigen, aber klammheimlich deren Inhaltsstoffe nachbauen und verkaufen. Perfide.

* Zitat SCM Mitglied (Cannabis Patient und Erlaubnisinhaber)
1(Synthetic [DELTA]-9-THC (Dronabinol) Can Improve the Symptoms of Schizophrenia.; Schwarcz, Glenn MD *+++; Karajgi, Basawaraj MD *; McCarthy, Richard MD, PhD [S][//] im „Journal of Clinical Psychopharmacology. 29(3):255-258, June 2009.“)

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