Montag, 29. Juni 2009

Grüne Landschaften oder nur noch Luftschlösser?

Deutschland schreibt das Jahr 1998. Die rot/grüne Regierung ist gerade an die Macht gekommen und alle gehen fest davon aus, dass Cannabis innerhalb der ersten vier Jahre rot/grün wenigstens entkriminalisiert wird. Dann der erste Schock: Das im Parteiprogramm festgeschriebene Ziel der Legalisierung wird im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt, trotz der BündnisGrünen-Drogenbeauftragten Christa Nickels ändert sich nichts am rechtlichen Status von HanfpatientInnen-und KonsumentInnen. Die Grünen schafften es noch nicht einmal, das im gleichen Jahr von CDU/CSU/FDP verhängte Hanfsamenverbot wieder rückgängig zu machen. In der zweiten Amtsperiode kommt es noch schlimmer: anstatt sich der Herausforderung zu stellen und zumindest eine Entkriminalisierung auf die Tagesordnung zu setzen, überlässt die Partei das Gesundheitsministerium und somit das Amt der Drogenbeauftragten in die Hände der sozial-demokratischen Gesundheitspolitikerin Marion Caspers-Merk. Frau Caspers-Merk macht schon bald als „Hardlinerin“ von sich reden, eine billige Fotomontage vom „Spiegel“ erledigt den Rest und noch im Jahr 2004 kippt die mediale Stimmung. Seitdem wird dieses Thema von den BündnisGrünen gemieden oder es wird abgewiegelt: Jüngstes Beispiel ist Cem Özdemir, der bei Beckmann öffentlich das Parteiziel der Legalisierung verleugnete. Später versuchte er gegenüber dem DHV die Wellen ein wenig zu glätten, in dem er äußerte, Legalisierung und Entkriminalsierung seien „ein Streit um Kaisers Bart“. Eine eindeutige Positionierung zum Thema „Nur Legalisierung unter strengsten Jugendschutzauflagen verhindert problematische Konsummuster“ fehlt bis heute. Claudia Roth, einst Ton-Steine-Scherben Managerin und bekennende Kifferin, äußert sich zwar auf Anfrage immer wieder positiv, konzentriert sich aber, anders als früher, lieber auf andere Inhalte. Der Ex-Sponti und Grünen-Ikone Joschka Fischer hält es ähnlich. Einige sähen es sogar lieber, wenn der Status Quo gewahrt bliebe, allen voran die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung. Die Vertreterin der Stiftung stufte auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin Hanf-politische Bemühungen gegenüber einem E.L.F.-Aktivisten als „sozial-politisch nicht relevant“ein, weshalb sich ihre Stiftung nicht mit dem Thema „Legalisierung“ beschäftige. Das sah zumindest in der Landesvertretung Thüringen der Heinrich-Böll-Stiftung mal anders aus, 2003 wurde dort eine Ausstellung zum Thema initiiert. Das Parteiorgan „Schrägstrich“ kommentierte die Anwesenheit der Aktivisten auf dem Bundesparteitag in Berlin ob des Slogans „Yes we Cannabis“ folgendermaßen:
„Ui, ui ui, der letzte Joint muss aber schlecht gewesen sein“. Das zeugt schlicht und einfach von Ignoranz gegenüber Menschen, die ihre Freizeit und manchmal auch Freiheit opfern, indem sie eine Aufgabe erledigen, für die sich Bündnis 90/ Die Grünen momentan zu schade ist. Die Mutterpartei erweckt, im Gegensatz zur „Grünen Jugend“ den Anschein, sie versuche das Thema pro forma abzudecken, um das Wählerpotenzial von geschätzten sechs Millionen KonsumentInnen nicht zu verschrecken. „Ui ui ui, der letzte Joint muss wohl schlecht gewesen sein“ ist in Zeiten wachsender Repression gegen Führerscheininhaber, Patienten und Konsumenten ein Schlag ins Gesicht Ur-Grüner Überzeugungen. In einer Stellungnahme erklärte ein Mitarbeiter von Wahlkampfleiterin Steffi Lembke, der Satz sei „kein Angriff auf unser Wahlziel oder die gezeigte Aktion zur Legalisierung von Cannabis, sondern nur eine etwas scharfzüngige, aber keinesfalls bösartige und journalistisch freie Kommentierung des benutzten Slogans“. Passenderweise ist dieser schräge Nebensatz aber auch die einzige Erwähnung drogenpolitischer, insbesondere hanfpolitischer, Inhalte im BündnisGrünen Parteimagazin seit einigen Jahren.
Kein Thema, das schon so lange im Parteiprogramm festgeschrieben ist, ohne dass es auch nur einen Millimeter voranginge. Der Grund ist nicht die grundsätzlich falsche Einstellung der Partei, vielmehr geht es um ein Wahrnehmungsproblem: Selbst BündnisGrüne Kiffer haben mit ganz wenigen Ausnahmen auf lokaler Ebene ein Problem damit, sich öffentlich zu ihrer bevorzugten Droge zu bekennen und somit eine Vorreiterrolle bei der Entstigmatisierung der Hanfpflanze einzunehmen. Die meisten KonsumentInnen haben Angst, anders als bei anderen Themen, ihre Meinung öffentlich kund zu tun, denn anders als bei Anti-AKW oder Friedensdemos kann es schon mal richtig Stress geben, sobald man sich als öffentliche Person zum Konsum von Hanf bekennt.
Es gibt positive Ausnahmen, die wir uns scheuen wollen zu nennen. Christian Ströbele unterstützt das Anliegen wann immer er kann, Dr. Harald Terpe aus der Bundestagsfraktion leistet hervorragende Arbeit beim Thema „Cannabis als Medizin“, die Bundesarbeitsgemeinschaft Drogen (BAG) versucht seit Jahren, dem Thema parteiintern mehr Gewicht zu verleihen und Benedikt Lux aus dem Berliner Abgeordnetenhaus setzt sich seit Jahren kontinuierlich für eine humane Drogen-und Cannabispolitik ein. Dann wird es auch schon eng mit den Damen und Herren aus der ersten und zweiten Reihe. Zwar stimmen alle mit, wenn sich die Partei, wohlgemerkt erst wieder in der Opposition, dazu durchringt, einen ohnehin aussichtslosen Antrag zur Entkriminalisierung des Eigenanbaus zu stellen, sobald jedoch Regierungsverantwortung übernommen wird ist das Thema tot. Jüngstes Beispiel Hamburg: Dort wurde der Beschluss des vorigen CDU Senats, die geringe Menge auf sechs Gramm herabzusetzten, gar nicht erst erwähnt. Hamburg ist drogenpoltisch genauso repressiv wie unter Ole Beust ohne Grün.
Wir wollen hier nicht nur meckern, denn leider gibt es kaum eine drogenpolitische Alternative. Die LINKE zeigt zwar positive Ansätze, stößt aber gerade bei älteren Genossen auf Unverständnis, da die Hasch nur aus dem „Jugendlexikon der DDR“ kennen und somit noch glauben, ein Joint sei eine intravenöse Angelegenheit. Bündnis90/Die Grünen haben sich die Legalisierung fast eineinhalb Jahrzehnte vor der LINKEN ins Parteiprogramm genommen, die sich wohl erst kurz vor der diesjährigen Wahl dazu durchringen könnte.
Allerdings will „Ich habe gekifft“ keiner mehr hören. Wer unter 40 ist, eine einigermaßen bewegte Vita hat und das generell abstreitet, macht sich per se unglaubwürdig. „Ich kiffe ab und an gerne und das ist gut so“ aus prominentem Politiker-Munde würde eine Menge Druck von den Verfolgten nehmen und im Grünen Lager sicher weniger Stimmen kosten als eine solche Aussage brächte. Wo bleibt die Zivilcourage, die man als Kind der 1970er Jahre von der damaligen Bürgerbewegung und einer jungen Grünen Partei bewundert hat? Was hilft es, wenn auf Veranstaltungen der Partei die Zustimmung hinter vorgehaltener Hand umso größer ist?
Legalisiert wird für die „Anderen“: Für die Kiffer, die Ex-Hippies mit dem Stigma des etwas langsamen Sandalen-Grinsers, der keinem was tut, selbst aber auch wenig. Oder für den antriebslosen jugendlichen Hip-Hopper, der durch die Repression nur noch mehr Probleme bekommt. Aber nicht für die anwesende Mittelschicht auf dem Parteitag. Die kiffen heimlich. So wird das nie was.
Ein Blick nach Kalifornien, wo die Maßstäbe für einen „New Green Deal“ gesetzt werden, würde die Parteistrategen wohl eines besseren belehren. Denn in Kalifornien hat man schon längst eingesehen, was die Nachbeter der „Neuen Grünen Wirtschaft“ hierzulande verpasst haben: Ein „New Green Deal“ ohne Hanf ist keiner.

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