Dienstag, 13. Februar 2007

Rolys Silberscheiben des Monats Februar Teil 1

Falco: Hoch wie nie (sony bmg)
>> Pop Special

Sein musikalisches Schlüsselerlebnis ist die innovative und einflussreiche „Berlin-Trilogie“ (Low / Heroes / Lodger) des Kultstars David Bowie. Gleichzeitig dringen in die aufkeimende „Neue Deutsche Welle“ die ersten Grooves eines Kurtis Blow oder Grandmaster Flash, die auch einen sehr wichtigen Einfluss auf das Musik-Konglomerat des Wiener Ausnahmekünstlers haben. Nach Zwischenstationen beim Umspannwerk, Spinning Wheel (Hallucination Company) und Drahdiwaberl startet der Bassgitarrist mit seiner Solonummer „Ganz Wien“ (ursprünglich als Pausenfüller gedacht) durch, der bald zum Kulthit der New Wave-Szene Wiens avanciert. Kein österreichischer Titel brachte damals die Stimmung der frühen 80er-Jahre besser auf den Punkt – er blieb fixer Bestandteil von seinen Livekonzerten und war übrigens seine erste Nummer, die mit einem Radioverbot belegt werden sollte. Zusammen mit seinem extravaganten Stil, mit Gel nach hinten frisierten Haaren, in Anzug gekleidet und markanten Sonnenbrillen wird Falco mit seiner ersten Single „Der Kommissar“ mein Idol, das mich musikalisch meine Kindheit und Jugend begleitet. Eine der weltweit an die sieben Millionen verkauften Tonträger wird auch die allererste Schallplatte, die sich in meiner Sammlung wiederfindet. Nach dem Riesenerfolg „Einzelhaft“ (1982) veranlasst das zweite Album „Junge Römer“ (1984) die Kritiker zu Jubelhymnen und gilt mit seinen geschmeidigen Dancebeats und dem Stakkato von Falcos Großstadtweisheiten als damals verkannter Geniestreich der österreichischen Popmusik. Nachdem Falco mit seiner TV-Show „Helden von heute“ das erste Longform-Video der deutschen Popmusik geschaffen hat, verlässt er seinen Produzenten Robert Ponger, um mit dem holländischen Produzenten-Duo Bolland und Bolland zusammenzuarbeiten. Die erste Kooperation des Trios, „Rock Me Amadeus“, klettert sofort an die Spitze der Charts, belegt im März 1986 vier Wochen lang die Spitze der amerikanischen Hitparade, steigt in England (dem Mutterland des Pops) auf Platz 1 und weltweite Chart-Platzierungen von Südamerika bis Japan folgen. Auch das Album „Falco 3“ (1985) erreicht international hohe Anerkennung und steigt in den USA auf Platz 3 (trotz fast ausschließlich deutschsprachiger Songs). Unvergessen natürlich auch der Boykott deutscher Sendeanstalten, der nichts daran ändert, dass „Jeanny“ lebt und während dieser Zeit täglich 50.000 Singles verkauft. In Zusammenarbeit mit den Videoproduzenten Rudi Dolezal und Hannes Rossacher (DoRo) entwickelt Falco eine ihm eigene Bildsprache. Er ist damit der erste kontinentaleuropäische Popmusiker, der die Zeichen der internationalen Videoclip-Kultur für sich zu nutzen wusste und sie weltweit mitprägte. Nach „Emotional“ (1986) sind die beiden Werke „Wiener Blut“ (1988) und „Data de Groove“ (1990) leider seiner Zeit voraus und bleiben weitgehend unbeachtet. Im Herbst 1992 begeistert der Falke mit der LP „Nachtflug“ und der Single „Titanic“ erneut seine Fans und erhält dafür in Österreich Platin. Sein letzter großer Auftritt findet im Rahmes des Wiener Donauinselfestes im Juni 1993 mit über 100.000 Besuchern statt. Um vor österreichischen Medien zu flüchten. Im Frühjahr 1996 verlegt Falco seinen Wohnsitz in die Dominikanische Republik und veröffentlicht mit „Naked“ die zu seinen Lebzeiten letzte Single. Am 6. Februar 1998 erschüttert die Nachricht von Falcos tragischem Tod durch einen Autounfall die Pop-Welt. Nur wenige Wochen davor beendete er die Produktion seines damit letzten Albums „Out Of The Dark“, an dem er zwei Jahre lang gearbeitet hatte und welches posthum im Februar 1998 veröffentlicht wird.
Am 19. Februar 2007 hätte Falco seinen 50. Geburtstag gefeiert! Mit einer noch nie so erschienenen labelübergreifenden Best-Of-Doppel-CD und einer dokumentarischen DVD über sein Leben „Hoch Wie Nie“ wird der größte österreichische Popstar nicht in Vergessenheit geraten. Das DoRo-Tribute an Falco setzt dem Künstler und den Stationen seiner außergewöhnlichen Karriere ein filmisches Denkmal. Von seinen ersten TV-Auftritten bis hin zum letzten Interview und seinem Begräbnis wird das Leben der „Kunstfigur“ Falco endrucksvoll beleuchtet. Weggefährten, Kollegen, Freunde und seine Mutter geben einen großartigen Einblick in Falcos Leben. Der Erfinder des deutschsprachigen Raps nahm mit der Einbindung von Sprechgesang in einen Pop-Kontext, kombiniert mit melodiösen, flächigen Refrains schon Mitte der 80er einen Trend vorweg, mit dem heute viele internationale Stars die Massen begeistern. Und sein charismatischer Eindruck hinterlässt auch heute noch seine Spuren. In tiefer Zuneigung und Respekt!

www.falco.at
www.sonybmg.de
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Various Artists: Science Fiction Jazz Vol. 10 (mole listening pearls)
>> Listening / Lounge

Die „Sci-Fi”-Reihe gehört zu den bekanntesten Compilations in diesem Bereich und spielt(e) bei der Etablierung von Mole eine große Rolle. Die vom Züricher Robert Jan Meyer aka Minus 8 initiierte und zusammengestellte Erfolgsreihe „Science Fiction Jazz“ widmet sich kommenden Musikströmen im Bereich der elektronischen, vorwiegend jazzbeeinflussten Musik. Schon für das allererste Mole-Release „Science Fiction Jazz Vol. 1“ verantwortlich, präsentiert Minus 8 nun die bereits zehnte Ausgabe des etablierten Kopplungs-Konzepts, die sich zum Ziel gesetzt hat, wieder einen interessanten Querschnitt über das zeitgenössische und zuweilen zukunftsweisende elektronische Musikschaffen zu vermitteln. Eklektizistisch konzentriert sich die CD nicht auf einen Stil, sondern widmet sich mit 15 heißen Tracks dem Downbeat, dem souligen und jazzigen Uptempo und sogar dem RnB. Und es wieder eine wahrer Genuss, wenn es darum geht „Open Minded Grooves“ zu versammeln. Mit K’Bonus und Zero dB geht’s schon mal sehr gemütlich los und nachdem Nightmares on Wax mit „You Wish“ die ganze Sinnlichkeit noch steigern, zeigen auch während die Elektro-Rookies des letzten Jahres (Lindstrøm & Prins Thomas) einflühlsam, dass sie nicht nur für Post-Disco (House) zuständig sind. Und als ob 4 Hero’s „Creating Pattern“ gerade eben erst erschienen wäre, wird Ike Turner mit einem Oldschool-Beat von Marc Mac (Visioneers) gehuldigt. Wo Airmate feat. Mozez den Soul baumeln lassen, frönt ein verstorbener J Dilla mit „Walkinonit“ noch seine minimalistische Samplekunst. Laidback sorgen im Banzai Republic vs. Trentemøller Mix für einen „Beautiful Day“, Kelley Polar groovt mit „Ashamed Of Myself” und die Outlines (das Sonar Kollektiv-Signing aus Strassbourg) beweisen auf „Listen to the Drums“, dass sie inzwischen mehr als ein („Just little Lovin’)-Geheimtipp sind. Und nachdem Tahiti 80 mit „Love From Outer Space“ abheben, bringen Koop mit ihrem schwedischen (Nu)-Jazz die 60s ins Spiel. Einen wundervollen Vibe fabrizieren auch Pretz (N. Cowley) mit dem „Chapel Stile“ und The Funky Lowlives mit „Sail Into The Sun“, bevor der Kompilierer mit „Heaven Knows“ (Interlude No. 2) ein standesgemäßes Outro zum Besten gibt. „Science Fiction Jazz Volume Ten“ ist ein mehr als empfehlenswertes Qualitätsprodukt, das mit stets hochwertiger internationaler Besetzung Akzente setzt. Nicht nur tanzbar, sondern auch denkbar. Science Fiction eben.

www.minus8.net
www.mole.de
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Wu-Tang Clan & Friends: Unreleased (nature sounds)
>> HipHop

Die Wurzeln des legendären Clans finden sich in Staten Island, New York, des Jahres 1992. RZA, sein Cousin GZA und der letztes Jahr verstorbene Ol’ Dirty Bastard sind von verschiedenen Versuchen, eine Solo-Karriere zu lancieren, frustriert und beschließen ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Als Einheit bilden im Kern neun MCs die legendäre Crew: neben RZA, GZA und ODB gehören Raekwon, Ghostface Killah, Method Man, Inspectah Deck, U-God und Masta Killa zum inneren Zirkel. RZAs legendärer Produktionsstil, der sich mit geloopten, reduzierten, samplebasierten Beats auszeichnet, zusammen mit den stark differierenden Rap-Stilistiken der neun MCs, dem ausgiebigen Gebrauch von Slang-Ausdrücken, sowie den immer wiederkehrenden Bildern der Martial Arts- und Samurai-Kultur, prägen den unverwechselbaren Sound. Und so wird schon das erste Clan-Album „Enter The Wu-Tang (36 Chambers)“ ein Klassiker der HipHop-Geschichte. Ferner gruppieren sich eine Vielzahl weiterer assoziierter Künstler und Projekte um den Clan. Dies gilt besonders für den Clan DJ und Produzenten Mathematics, der mit dem W-Logo das Markenzeichen der Crew schuf. Das nächste Album „Wu-Tang Forever“ (1999) steigt auf Platz 1 der amerikanischen Charts ein. Der Sound ist weiterhin dem Underground verschrieben, das Format des Doppelalbums macht keine Konzessionen an den Massengeschmack und doch kann sich der harte, minimalistische Sound auf dem Markt nachhaltig und stilprägend durchsetzen. Obwohl die Mitglieder gemäß ihres Image Endzeitstimmung schüren, geht mit dem Jahrtausendwechsel überraschenderweise nicht die Welt oder der Clan als Einheit unter, denn das Album „The W“ treibt Fans wie Kritikern Tränen der Begeisterung in die Augen. Der Clan verstärkt seinen Auftritt mit Features von Nas, Redman, Busta Rhymes und Snoop Dogg. Mathematics, der Clan DJ und neben RZA der wichtigste Produzent des Clan-Materials, hat nun seine persönliche Schatzkiste geöffnet und fördert 20 bisher unveröffentlichte Wu-Tang Clan-Raritäten mit großartigen Features zu Tage. Handverlesen und gut sortiert besticht „Unreleased“ mit exklusiven Remixes – wie beispielsweise von so genialen Tracks wie „Wu-Banga“ oder „Da W“ – sowie bisher nicht veröffentlichten Stücken aus diversen Album-Sessions. Hiervon stechen für mich besonders „King Toast Queen“ und „Wanna Believe” hervor. Guter HipHop muss Seele haben. Top Album!

www.wutangcorp.com
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Funkstörung: Appendix (!K7 records)
>> Experimental

Ihre Musik war immer „funky, but distorted” und galt stets als Versprechen für arrangierte Dekonstruktion, elektronische Teilchenlehre und netzlose HipHop-Akrobatik. Ein Jahr nach ihrem zehnjährigen Jubiläum haben sich Michael Fakesch und Chris De Luca nun entschieden, ihren Abschiedsbrief vorzulegen und in Zukunft getrennt neuen Projekten entgegen zu gehen. „Appendix“ ist die dritte Funkstörung Remix Compilation nach „Additional Productions” (1999) und „Vice Versa” (2001) und gleichzeitig finales Statement sowie Schlussstrich unter Funkstörung. Sieben Jahre (1998-2005) werden einer erstklassigen Kollektion von zwölf ausgesuchten Remixes für die Künstler Spacek, Phono.o, Barry Adamson, Björk, Lamb, Lusine ICL, Towa Tei, Raveonettes, Nils Petter Molvaer, Beanfield, Enik und Richard Devine gefeiert. Quer durch die Jahre und Stilrichtungen geht dann auch diese Zusammenstellung. Neben poppigem Frauengesang und monotonen Elektro-Beats reihen sich knarzige Störgeräusche an Drum’n’Bass-Basslines. Nicht wirklich harmonisch, aber stets dem Bandnamen entsprechend. Denn im Auseinandernehmen und Neuzusammenlöten fremder Stücke bewiesen Funkstörung immer ihre besondere Stärke. Wenn ein Björk- oder Lamb-Song auf die zerbröselnden, aber doch unglaublich funky Funkstörung-Beats traf, generierte das eine ganz besondere Reibung. Neben den beiden genannten sind es auf „Appendix“ besonders die Remixe für Phon.o, Nils Petter Molvaer und Enik, bei denen das Rezept besonders gut gelingt. Oft verglichen mit Autechre oder Aphex Twin, aber in ihrer Art absolut unverwechselbar – beispielsweise wenn „Love In A Trashcan“ von den Raveonettes bis auf das Gitarrenriff ausgezogen wird und diese speziellen stolpernden Beats behutsam drum herum getupft werden. Mein absoluter Liebling ist auf jeden Fall neben Lamb’s „Heaven“ und Towa Tei’s „Latte & Macaron“ der 2nd (!) Funkstörung Remix von Björk’s „All Is Full Of Love“. Michael Fakesch arbeitet übrigens bereits seit einigen Monaten an seinem Solo-Album. Bevor dieses aber Ende 2007 erscheint, biegt mit „Appendix“ der finale Output von Funkstörung um die Ecke. Das Ende einer ganzen Ära melodiös-knisternder Elektronik und futuristischen Hi-Tech HipHops ist ein schöner Abgang.

www.funkstorung.com
www.michaelfakesch.com
www.k7.com

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