Freitag, 7. April 2006

Das Netzwerk der Phytohormone

– Teil 1

Hormone von Mensch und Tier sind Stoffe, die in kleinen Konzentrationen sehr große Wirkung erzielen. Hormone in unserem Körper werden meist in speziellen Drüsen produziert um dann an anderen Orten eingesetzt zu werden. Als Beispiele kennen wir die männlichen und weiblichen Geschlechtshormone (wie Androgen und Östrogen) oder die Schilddrüsenhormone. Unsere Hormone steuern nicht nur körperliche Reaktionen, sondern beeinflussen unsere Psyche und das Wohlbefinden und somit auch unser gesamtes Sozialverhalten.

Pflanzen haben ebenfalls Hormone, die Phytohormone. Den meisten sind wohl die Bewurzelungshormone bekannt, die in den Steckpulvern und Stecklingsgels verarbeitet sind. Pflanzen- und Tierhormone unterscheiden sich in vielen Dingen, aber das Wirkprinzip lässt so viel Übereinstimmung sehen, dass das Wort Hormon auch für Phytohormone passend ist. Oft spricht man aber auch von Wuchsregulatoren. Deutliche Unterschiede bei Tier und Pflanze sind zum Beispiel die Produktionsplätze der Hormone. Im Gegensatz zu tierischen Hormonen, die in Spezialdrüsen gefertigt werden, sind die Produktionsorte der Pflanzenhormone nur sehr allgemein zu bestimmen (z. B. in den Wurzeln oder in den Blattknospen).

Pflanzenhormone verwenden alle möglichen Transportbahnen in der Pflanze. Abhängig von den Funktionen, die sie innehaben, bewegen sie sich im Transpirationsstrom (im Stamm) nach oben oder in den zuckerhaltigen Energiebahnen (auf den Blättern) in alle möglichen Richtungen. Pflanzenhormone gebrauchen auch alternative Transportwege. Im Laufe dieses Artikel hören wir mehr hierüber.

Soweit bisher bekannt, sind fünf große Hormon-Gruppierungen in der Pflanze aktiv:
Auxine, Gibberelline, Cytokinine, Abscisinsäure und Ethylen. Darüber hinaus kennt man aber auch inzwischen eine Vielzahl anderer Stoffe, die Hormonwirkung zeigen, wie zum Beispiel die Oligosaccharide. Diese hochinteressanten Stoffe mit den komplizierten Bezeichnungen steuern und regeln die gesamte Pflanzenentwicklung.

Eigenschaften der Phytohormone:
Alle Phytohormone haben mehrere Funktionen. Es ist nicht möglich, einen dieser Stoffe mit nur einer Funktion zu umschreiben. Die verschiedenen Hormone arbeiten hierbei zusammen und können sich gegenseitig stimulieren oder auch hemmen. Durch Kombination aller Pflanzenhormone und durch Variation der Konzentration einzelner werden sehr komplexe und gerichtete Reaktionen im Stoffwechsel induziert.

Die Wirkung eines Phytohormons ist abhängig von seiner Konzentration. Ein in niedrigen Konzentrationen wuchsstimulierend wirkendes Hormon kann in hohen Konzentrationen genau das Gegenteil bewirken, nämlich das Wachstum bremsen.

Im Folgenden werden wir die einzelnen Phytohormone näher kennenlernen.

AUXIN

Auxin gehört in die gleiche Gruppe der Wuchshormone, die wir als Stecklingsmittel kennen. Die Hormone in Steckpudern und -gelen sind allerdings die synthetischen Vertreter des Auxins und kommen in der Natur nicht vor. Sie werden gebraucht, um die Bewurzelung eines unbewurzelten Stecklings anzuregen. Das natürliche Auxin ist die INDOLESSIGSÄURE (IES in Deutsch bzw. IAA = Indolylacetic acid in Englisch).

Auxin wird in den Blattknospen und jungen Blättern produziert, während es vor allem in den Wurzelregionen gebraucht wird. Das Auxin stimuliert dort die Ausbildung von Seitenwurzeln. Um von der Produktionsstätte (Blätter) in die Wurzeln zu gelangen, gebraucht das Auxin einen spektakulären Transportweg: Es geht quer durch die Zellen und durch die ganze Pflanze hindurch. Auxin folgt hierbei keinem uns bekannten Leitungssystem und erreicht doch zielgerichtet seinen Arbeitsplatz in der Wurzel.

Wie weiß das Auxin, in welche Richtung es sich bewegen muss?
Ist dieser undifferenzierte Transport (quer durch alle Zellen) überhaupt zielgerichtet? Zur Klärung genau dieser Fragen wurden einige Experimente durchgeführt, die wir uns hier näher ansehen (siehe Zeichnung).

Experimentaufbau: Ein Stückchen Wurzel oder junger Stiel wird aus einer Pflanze geschnitten. Es wird festgehalten, welche Schnittstelle ehemals nach oben (Blattseite) und welche ehemals nach unten (Wurzelseite) zeigte. Oben auf dem Stängelfragment legt man auf die Schnittstelle ein Blöckchen Gelatine, das mit Auxin durchtränkt ist. An der anderen Seite des Stängels befestigt man ein ebensolches Gelatineblöckchen, in dem sich nichts weiter befindet. Nach einiger Zeit misst man in dem unteren Blöckchen, ob und wie viel von dem Auxin dort angekommen ist. Durch Variationen des Versuchsaufbaues sowie Umdrehen der Stängel und Austausch der mit und ohne Auxin versehenen Gelatineblöckchen gibt es folgende Resultate (siehe auch Abbildung 1):

1. Blattseite oben: Gelatine mit Auxin
Wurzelseite unten: nur Gelatine.
Nach einiger Zeit ist eine Anreicherung von Auxin im unteren Blöckchen messbar.

2. Der Stängelabschnitt wird umgedreht, die Gelatineblöckchen bleiben aber jeweils an der gleichen Schnittstelle.
Blattseite nach unten: Gelatine mit Auxin
Wurzelseite nach oben: nur Gelatine

Nach einiger Zeit ist die gleiche Anreicherung von Auxin im oberen Blöckchen messbar wie in Versuch 1. Es ist also völlig unerheblich, ob der Transport mit oder gegen die Schwerkraft erfolgt, das Auxin strömt auch nach oben.

3. Blattseite nach oben: nur Gelatine
Wurzelseite nach unten: Gelatine mit Auxin
Auch nach einigen Tagen ist kein Auxin in das Gelatineblöckchen gewandert, kein Transport von Wurzel zu Blatt.

4. Blattseite unten: nur Gelatine
Wurzelseite oben: Gelatine mit Auxin
Auch hier findet kein Transport statt, obwohl es nach unten geht.

Essenz dieses Experimentes:
Auxin strömt immer vom Blatt zur Wurzel, unabhängig davon, ob es nach unten oder nach oben geht, die Schwerkraft nimmt keinen Einfluss. Man kann eine Pflanze also auch auf den Kopf stellen und es ändert sich nichts. Daher kann es sich nicht um eine willkürliche, sondern nur um eine gerichtete Strömung handeln. Die Erklärung hierfür ist: Die Zellen selbst schicken das Auxin in die gewünschte Richtung. Denn jede Pflanzenzelle ist gepolt, hat einen „Wurzel“pol und einen „Blatt“pol. Somit weiß jede Zelle, an welcher Seite sich die Wurzeln und an welcher sich die Blätter befinden.

Die Antwort auf die Frage Wie weiß ein Auxin, in welche Richtung es sich bewegen muss? lautet also: Nicht das Auxin findet den Weg in die Wurzeln, sondern die Pflanzen-Zellen sorgen dafür. Die Zellen fungieren als Pumpen und schieben das Auxin zu derjenigen Nachbarzelle durch, die sich in Wurzelrichtung befindet. Die Pflanzenzellen arbeiten hier als Kollektiv und sorgen dafür, das die Hormoninformation von den Blättern in die Wurzeln gelangt. Welche Möglichkeiten und Konsequenzen sich hieraus für die Pflanze ergeben, hören wir in der nächsten Ausgabe.

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