Donnerstag, 19. Januar 2006

Gen-Gras

– ein modernes Weihnachtsmärchen und sein Hintergrund

Seit mittlerweile vielen Jahren hält sich, leider nicht nur auf Seite der Prohibitionisten, hartnäckig das Gerücht vom genmanipulierten Supergras. Kein Gerücht ohne Hintergrund, also hab ich mich mal auf Spurensuche begeben.

Unter Genmanipulation versteht man die künstliche Veränderung des Erbgutes. Dieses besteht aus vier Säuren, den Bausteinen der DNA. Diese Säuren werden bei der Genmanipulation – vereinfacht gesagt – untereinander „ausgetauscht“ und ein Lebewesen mit neuen Eigenschaften entsteht. Italienische Wissenschaftler haben versucht, Hanf genetisch zu manipulieren, mit folgendem Ergebnis: „Laut den italienischen Forschern Tito Schiva und Saverio Alberti ist Hanf sogar gegen Genmanipulationen resistent“, so die „Sonntagszeit“ Nr. 7 vom 17. Februar 2002 in „Das Leuchten der Blumen“ „..Ziel der Studien war ursprünglich die Herstellung von handelsüblichem Hanf, der von unerlaubten Rauschmittelsorten zuverlässig unterschieden werden sollte. Doch erwies sich ausgerechnet Hanf gegen eine Genmanipulation resistent“.

Soso, unsere Mädels haben also gar keinen Bock, sich in ihren Erbgutsträngen rumfummeln zu lassen, wie kommt es dann, dass weiterhin kräftig das Gegenteil behauptet wird? Schuld ist die Herbstzeitlose! Ja, ihr lest richtig, denn: die Knolle der wunderschönen Zierpflanze enthält Colchizin. Dieses hochgiftige und krebserregende Alkaloid, auch bekannt als Spindelgift, kann niedrig dosiert gegen Gicht helfen, ruft aber ebenso Mutationen bei Pflanzen hervor, deren Saatgut damit behandelt wurde. Die Überlebensquote von Samen, die mit Colchizin behandelt werden, beträgt zehn Prozent. Die überlebenden Pflanzen werden oft, nicht immer, ertragreicher. Der Grund: Die Erbanlagen wurden, einfach dargestellt, verdoppelt, nicht verändert. Es handelt sich um eine Mutation , also eine spontan auftretende oder herbeigeführte Veränderung des Erbgutes, die ständig in der Natur vorkommt. Die Pflanze ist jetzt polyploid, das heißt, sie hat nun mindestens drei vollständige Chromosomensätze, die jedoch im Gegensatz zur Genmanipulation unverändert sind.

Diese Wirkung ist schon seit 1934 bewiesen und noch viel länger wird auf dem Gebiet geforscht. Unter anderem wurde durch die Behandlung mit Colchizin eine neue Getreidesorte (Triticale: Kreuzung aus Weizen und Roggen) geschaffen, die schon Jahrzehnte bei uns als Viehfutter und als Rohstoff für Backwaren, Bier und Breie kultiviert wird. Gleiches gilt für Rüben, diverse Futterpflanzen, und beispielsweise auch für Stiefmütterchen. Die Anwendung von Colchizin gilt in Botanikerkreisen als gängigste Methode, Polyploide herzustellen und wurde schon bei fast allen bekannten Kulturpflanzen angewendet.

Was das mit Gras zu tun hat? Natürlich gab es auch in Grower-Kreisen bereits in den Siebzigerjahren Menschen, die, nachdem sie ein paar Bio-Bücher gewälzt hatten, mit Colchizin experimentierten, der bekannteste unter ihnen war Tim Leary (von dem böse Zungen behaupten, er hätte durch den ungeschützten Umgang mit Herbstzeitlosen-Extrakt später Krebs bekommen). Die Ergebnisse entsprachen wohl nur teilweise den Erwartungen und es war außerdem sehr aufwendig, Samen mit Colchizin zu behandeln. Die niedrige Überlebensquote , die aufgrund von Giftrückständen auftretende Ungenießbarkeit der ersten beiden Generationen und vor allem die nicht zu unterschätzende Gesundheitsgefährdung beim Hantieren mit der Substanz, verhinderten eine großflächige Verbreitung dieser Methode. Auch sind die Folge-Generationen lange nicht so stabil wie bei durch natürliche Selektion gewonnnem Saatgut, einfach gesagt: Die Produktion von Samen durch natürliche Selektion ist sowohl in Bezug auf den Ertrag als auch auf die Stabilität einer Sorte wirtschaftlicher und unkomplizierter. Deshalb hat sich diese als einzige durchgesetzt.

Ob polyploide Sorten, die es zweifelsohne gibt, nun durch natürliche Mutation oder durch frühes Herumexperimentieren mit Herbstzeitlosen-Extrakt entstanden sind, lässt sich heutzutage nicht mehr nachvollziehen. Das gilt jedoch auch für viele der Pflanzen, die wir täglich essen. Fest steht: Alle Samenbanken und seriösen Züchter arbeiten nur mit Hilfe natürlicher Selektion, die Frankenstein-Methode der Colchizin-Behandlung wird höchstens noch von gewissenlosen Hobby-Biologen angewandt, denen aber Zeit und Mittel, ihr Saatgut weiter zu verbreiten, glücklicherweise nicht zur Verfügung stehen.

Die gleiche Methode, die bei der Hanfsamen-Behandlung angeblich Gen-Gras hervorruft, wird seit 1960er-Jahren an nahezu jeder Kulturpflanze angewandt, auch im Freiland. Also können wir davon ausgehen, dass unser Hanf mit Sicherheit nicht mehr oder weniger genmanipuliert ist wie unser Brot. Erfolgreiche Versuche, künstliche Mutationen zu erzeugen, hat es zweifelsfrei gegeben, die Methode konnte sich jedoch, anders als bei vielen Lebensmitteln, bei Cannabis nicht durchsetzen und hat mit Genmanipulation im heutigen Sinne nichts zu tun. Wer nun auf die Idee kommt, so etwas selbst auszuprobieren, dem/der sei gesagt: Finger weg, der Kontakt mit Colchezin ist schon in geringen Mengen krebserregend und es bedarf eines professionellen Labors und einer fundierten Ausbildung, um gefahrlos mit dem Gift umzugehen. Der Umgang damit ist sinnvoller weise genehmigungspflichtig. Auch wäre es ein Unding, wenn jemand solches Saatgut in den Umlauf brächte. Deshalb gibt es hier auch keine Anleitung .

Auch die leicht angestiegenen THC-Gehalte in einigen Sorten lassen sich ausschließlich auf natürliche Auslese zurückführen, hier eine Genmanipulation als Grund aufzuführen ist blanker Unsinn. Auch sind dies oft zitierte „Spitzenwerte“ aus den offiziellen Statistiken, ein signifikanter Anstieg des THC-Gehaltes in Bezug auf die Gesamtmenge an beschlagnahmten Cannabis-Produkten wurde nie festgestellt. Also, Herr Raab, Frau Schmidt und wie sie alle heißen: erst informieren, dann plakatieren, außerdem: Bei einer Legalisierung wären die Mitglieder der Saatgut-Lobby sicher die Ersten, die laut über eine Notwendigkeit von Hanfpflanzen-Mutanten nachdächten.

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