Dienstag, 6. Dezember 2005

Dr. med. Franjo Grotenhermen klärt auf

Wie die Cannabinoide im Körper wirken

Die vielfältigen Wirkungen der charakteristischen Inhaltsstoffe des Cannabis, der so genannten Cannabinoide, sind schon seit sehr langer Zeit bekannt und werden seit vielen Jahrhunderten genutzt. Dabei waren die Mechanismen lange Zeit unbekannt, durch die die Wirkungen wie zum Beispiel Glücksgefühle, Entspannung, Schmerzlinderung, Angst und Hunger vermittelt werden.

Erst vor etwa 20 Jahren fand man heraus, dass THC an spezifische Bindungsstellen andockt, die sich auf der Oberfläche von Zellen befinden. Diese so genannten Cannabinoid-Rezeptoren kommen in großer Zahl auf Nervenzellen, aber auch auf weißen Blutkörperchen sowie auf Zellen einer Vielzahl von Organen und Geweben vor. Grundsätzlich werden zwei Hauptrezeptor-Typen unterschieden: Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1) und vom Typ 2 (CB2). CB1-Rezeptoren finden sich vor allem auf Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark. Wenn die CB1-Rezeptoren in ausreichender Zahl aktiviert werden, treten zum Beispiel die bekannten psychischen Wirkungen von Cannabis wie Euphorie und Entspannung oder auch Angst und Panik auf. Die CB2-Rezeptoren finden sich dagegen vor allem auf Zellen des Immunsystems, des körpereigenen Abwehrsystems gegen Bakterien und andere Erreger. THC bindet an beide Rezeptor-Typen.

Wenige Jahre nach der Entdeckung dieser Rezeptoren wurden körpereigene Substanzen, so genannte Endocannabinoide (von griechisch endo, „innen“), gefunden, die ebenfalls an Cannabinoid-Rezeptoren binden. Das erste Endocannabinoid wurde 1992 entdeckt und Anandamid genannt. Sein Name ergibt sich aus dem Sanskrit-Wort Ananda für Glückseligkeit und Amid, seiner chemischen Struktur. Neben Anandamid wurden im Laufe der Jahre noch weitere Endocannabinoide entdeckt. Bereits die Verteilung der Cannabinoid-Rezeptoren und der Endocannabinoide lässt Rückschlüsse über ihre natürliche Funktion zu. CB2-Rezeptoren auf weißen Blutkörperchen scheinen eine Rolle bei der Immunantwort auf Entzündungen und bei Allergien zu spielen. CB1-Rezeptoren sind besonders stark in einigen Hirnbereichen konzentriert, die eine Bedeutung bei der Koordination von Bewegungen, bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken, bei der Schmerzverarbeitung und beim Gedächtnis haben. Im Bereich der Blutgefäße beeinflussen Endocannabinoide offenbar die Spannung der Gefäßwand und somit den Blutdruck. Die Wirkungen der Endocannabinoide ähneln denen der pflanzlichen Cannabinoide, sind jedoch in der Regel von kürzerer Dauer.

Viele Wirkungen der körpereigenen und der pflanzlichen Cannabinoide lassen sich durch eine Beeinflussung der Wirkmechanismen natürlicher Botenstoffe erklären. Dabei zählen auch die Endocannabinoide zu solchen Botenstoffen, die im Gehirn und anderen Organen Nachrichten über den Zustand des Körpers übermitteln und die Zellen zu bestimmten Reaktionen veranlassen. Endocannabinoide gehören zu den hemmenden Botenstoffen und schützen beispielsweise Nervenzellen vor Schädigungen, indem sie eine übermäßige Freisetzung des Botenstoffes Glutamat im Gehirn hemmen, wie sie bei einer Mangelversorgung mit Sauerstoff auftritt. Zudem vermindern sie durch Beeinflussung der Regelkreise anderer Botenstoffe Übelkeit und Erbrechen sowie Muskelspasmen und Krämpfe.

Bei einigen körperlichen Störungen ändert sich die Menge der Endocannabinoide sowie der Cannabinoid-Rezeptoren. So nimmt die Konzentration des Anandamids in einigen für die Schmerzverarbeitung zuständigen Hirnregionen zu, um diese Schmerzen zu lindern, oder sie nimmt bei mangelnder Nahrungsaufnahme zu, um den Appetit anzuregen. Auch konnte gezeigt werden, dass bei Schmerzen aufgrund von Nervenverletzungen oder bei chronischen Darmentzündungen die Anzahl der Cannabinoid-Rezeptoren steigt. Die Zunahme der Rezeptoren bei bestimmten Erkrankungen kann dazu führen, dass von außen zugeführte pflanzliche Cannabinoide besser wirken.

Nicht alle Wirkungen der Cannabinoide werden über Cannabinoid-Rezeptoren vermittelt. Beispielsweise können Cannabinoide freie Radikale, also reaktionsfreudige Moleküle, abfangen und dadurch Zellschäden vermeiden. Darüber hinaus wirken einige Abbauprodukte des THC medizinisch mit anderen Wirkmechanismen. So wird die entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung des Abbauproduktes THC-Carbonsäure ähnlich wie bei dem Wirkstoff von Aspirin durch die Hemmung eines bestimmten Enzyms vermittelt. Hinsichtlich ihres therapeutischen Nutzens werden zurzeit neben Cannabis und einzelnen Cannabinoiden weitere Substanzen getestet, die das Geschehen an den Cannabinoid-Rezeptoren und die Konzentration der Endocannabinoide beeinflussen.

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