Montag, 12. September 2005

Was Patienten von den Parteien erwarten können

„Bei all dem, was in der Welt geschieht, ist es gut zu wissen, dass die Bundesregierung wachsam ist, wenn es sich um die wirklich gefährlichen Menschen handelt, jene unverbesserlichen chronischen Schmerzpatienten, die bösartig darauf bestehen, Marihuana zur Linderung ihres Leidens zu verwenden“, hieß es in einem Beitrag des Boston Globe (USA) vom 13. Juni 2005. Der Beitrag bezieht sich zwar auf die Situation in den USA, die beschämende Tatsache, dass Schwerkranke strafrechtlich verfolgt werden, weil sie Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden, gilt jedoch leider auch für Deutschland. Es ist beschämend für ein zivilisiertes Land, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit angehalten sind, Patienten zu verfolgen und zu verurteilen, deren einziges „Vergehen“ darin besteht, dass sie ein wirksames Medikament einnehmen, das allerdings im Gegensatz zu Opiaten wie Morphium, Amphetaminen wie Ritalin, Benzodiazepinen wie Valium und anderen Drogen nicht vom Arzt verschrieben wurde. Es ist beschämend für die Parteien und Politiker, die zwar häufig viel Verständnis zeigen, jedoch in den vergangenen sieben Jahren keine Gesetzesänderungen vorgenommen haben, die die Situation der Betroffenen verbessert hätte.

Betrachtet man nur das Ergebnis, so unterscheidet sich die rot-grüne Bundesregierung nicht von der schwarz-gelben Alternative. Da sich in den Wahlprogrammen der Parteien wenig oder nichts zur medizinischen Verwendung von Cannabis-Produkten findet, kann man sie nur nach ihrem Verhalten in den vergangenen Jahren beurteilen. Die letzte positive gesetzliche Veränderung erfolgte noch unter der Regierung von Helmut Kohl: Im Februar 1998 wurde der Cannabis-Wirkstoff THC (Dronabinol) nach entsprechender Umstufung von Dronabinol im Betäubungsmittelgesetz verschreibungsfähig, nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einem Gutachten für die Bundesregierung festgestellt hatte, dass THC bei bestimmten Indikationen ein nützliches Medikament sein kann.

In der Folgezeit schien es zunächst so, als würde es bald weitere Verbesserungen und Erleichterungen geben. Dafür machte sich die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) mit den Mitarbeitern des Betäubungsmittelreferates im Bundesgesundheitsministerium stark. Im Frühjahr 1999 stellten sie Vertretern der Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin“, der Deutschen AIDS-Hilfe und des Schmerztherapeutischen Kolloquiums bei einem Gespräch im Ministerium die baldige Rezeptierfähigkeit eines Cannabis-Extraktes in Aussicht. Der Deutsche Arzneimittel Codex (DAC) sollte im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums eine standardisierte Cannabis-Rezeptur entwickeln, nach der Apotheker dann entsprechende Arzneimittel herstellen könnten. Der DAC machte sich an die Arbeit.

Der nächste bemerkenswerte politische Vorgang war ein Beschluss des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 2000. Der Ausschuss befürwortete eine Petition der Selbsthilfegruppe „Cannabis als Medizin“ in Berlin und der Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin“, nach denen Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabis geschaffen werden sollen. Im Beschluss des Petitionsausschusses heißt es, dass Cannabis vielen Erkrankten helfe, „ihre Erkrankungen zu heilen beziehungsweise zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten“. Die Petition wurde mit den Stimmen der Ausschussmitglieder von PDS, SPD und der Grünen bei Stimmenthaltung durch die FDP und Gegenstimmen von der CDU/CSU-Fraktion angenommen. In einem Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an den Petitionsausschuss vom 28. September 2001 wird betont, dass die Bundesregierung die Bereitstellung eines Cannabis-Extraktes vorbereite. In einem gemeinsamen Beitrag von Dr. Ingo Flenker von der Bundesärztekammer und Dr. Horst Möller vom Bundesgesundheitsministerium für das Deutsche Ärzteblatt und die deutsche Apothekerzeitung im April 2001 wurde ebenfalls auf die „Bereitstellung von standardisiertem Cannabis-Extrakt“ hingewiesen. „In diesem Zusammenhang wird die Aufnahme von Cannabis-Extrakt in die Anlage III des BtMG vorbereitet“.

Als der DAC schließlich im Sommer 2003 eine entsprechende Rezepturvorschrift vorlegte, war das Bundesgesundheitsministerium nicht länger interessiert. Zwischenzeitlich hatte sich der Wind gedreht, denn nun hatte Frau Marion Caspers-Merk (SPD) das Amt der Drogenbeauftragten der Bundesregierung übernommen. Sie stand der Idee ihrer Vorgängerin eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Im Herbst 2003 stellte die FDP im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur medizinischen Verwendung von Cannabis-Produkten. In ihrer Antwort vom Januar 2004 erklärte das Bundesgesundheitsministerium, dass der medizinische Wert von Cannabis nicht nachgewiesen sei und, solange dies nicht der Fall sei, auch keine Verschreibungsfähigkeit von Cannabis erfolgen könne.

Fazit: Diese Entwicklung und weitere Erfahrungen der Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin“ zeigen, dass es eine starke Unterstützung für eine medizinische Verwendung von Cannabis-Produkten bei den Grünen und bei der PDS gibt, dass eine gewisse Unterstützung bei der FDP und bei der SPD besteht, die jedoch nicht durchgängig ist. Es gibt hier sowohl Befürworter als auch Skeptiker. Es besteht eine weitestgehende Ablehnung seitens CDU und CSU, wobei es allerdings auch in dieser Fraktion Unterstützer gibt.

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