Freitag, 29. Juli 2005

BEHANDLUNGSFEHLER

HANF-HÄFTLING WIRD IN U-HAFT ZUM DIALYSE-PATIENTEN

Ansbach. Welche Auswüchse die Hanf-Prohibition nach sich ziehen kann, zeigt der erschütternde Fall von Manfred Watzl aus Neuendettelsau. 1994 wurde Watzl wegen dem Anbau und Besitz von 580 Gramm Marijuana verhaftet und musste die Untersuchungshaft (U-Haft) in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ansbach verbringen. Aufgrund eines Behandlungsfehlers des Anstaltsarztes Dr. T. wurde er zum Dialyse-Patienten und ist dadurch erwerbsmäßig schwerbehindert. Das Schadensersatz-Verfahren gegen den „Freistaat“ Bayern zieht sich weiterhin hin …

Manfred Watzl berichtet: „ Als ich in U-Haft eine Erkältung mit Husten hatte, konsultierte ich den Anstaltsarzt Dr. T. Dieser äußerte, dass er mir wegen dem Status des Betäubungsmittel-Gesetzes nichts verordnen dürfe und schickte mich mehrmals wieder weg. Erst als die Erkältung bereits zu einer Augenentzündung geführt hatte, wurde ich an einen Augenarzt überwiesen. Dr. Lattermann aus Ansbach wies Dr. T. daraufhin, dass auch innere Organe betroffen sein könnten. Aber weiterhin geschah nichts! Erst als Vollzugsbeamte aufgrund meines inzwischen blassen und fahlen Erscheinungsbildes auf Behandlung drängten, wurde ich am 28.04.1994 ins Kreiskrankenhaus Ansbach eingewiesen. Dort stellte der behandelnde Arzt Dr. Müller-Marienberg einen vollständigen Ausfall der Nierenfunktion fest und äußerte, dass das einen Tag später wohl den Tod bedeutet hätte.“ Seitdem muss Watzl dreimal wöchentlich für sechs Stunden zur Dialyse ins Krankenhaus. Weshalb eine ordentliche Behandlung nicht stattfand, weiß nur Dr. T. Vielleicht war ihm der bekennende Hanf-Konsument einfach unsympathisch, vielleicht hatte er am 08.04.1994 einen schlechten Tag …? Im Juni 1994 wurde Watzl wegen Haftunfähigkeit vorzeitig aus der Strafhaft entlassen.

Nicht zu erklären ist, was sich im juristischen Nachspiel ab 1994 bis heute mit ungewissem Ende abspielt: Watzl schaltete zunächst die Staatsanwaltschaft ein und erstattete Strafanzeige gegen Dr. T. Die Staatsanwaltschaft – die einzige Institution, die seitens der staatlichen Stellen lobende Erwähnung verdient – ermittelte zunächst sehr engagiert wegen versuchtem Totschlag und erließ Ende 1996 einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die juristischen Hintergründe werden in der nächsten Ausgabe von Rechtsanwalt Stefan Kristen aus Ludwigsburg beleuchtet. Was danach folgte, ist kaum zu vermitteln. Im Januar 1998 begann der Spießrutenlauf durch die Mühlen der Justiz und die verantwortlichen behördlichen Institutionen, um nicht zu sagen, die peinliche und beschämende Blamage für unseren Rechtstaat.
Da Dr. T. seinerzeit in Diensten des „Freistaates“ Bayern stand, beauftragte Watzl Ende1997 den ortsansässigen Rechtsanwalt S., seine Ansprüche gegen das Land durchzusetzen. Für die vollständige Zerstörung seiner Lebensqualität ohne jede Aussicht auf lebzeitige Besserung wollte Watzl wenigstens einen angemessenen finanziellen Ausgleich erreichen, zunächst in Form eines Schmerzensgeldes von damals 1.000.000 Mark. Der Rechtsstreit zog sich bis Ende 2003 hin und endete mit einem Urteil, in dem Watzl ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro zugesprochen wurde. Die lange Verfahrensdauer von mehr als sechs Jahren mag ja auch daran liegen, dass der vorsitzende Richter, der Präsident des Landgerichts und Dr. T. im selben Sportverein als Präsident, Rechtsberater und Sportarzt tätig sind? Und frei nach dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ war der im Erstgutachten bestellte medizinische Sachverständige nicht in der Lage, das Fehlverhalten des Dr. T. zutreffend festzustellen. Es musste also ein zweiter Gutachter her, der dann die Lage richtig erfasste: Watzl hatte vor seiner Inhaftierung aus Sicht etablierter Kreise vielleicht einen „unsteten Lebenslauf“, aber ihm ist und war es immer wichtig, nicht auf Staatskosten leben zu müssen. Er verdiente sein Geld selbst und ging nicht zuletzt wechselnden Beschäftigungen nach, um zusammen mit seiner Frau seine kreativen Talente in einer eigenen Töpferei auszuleben. Die bayrische Justiz zeigte damals wenig Verständnis für diesen Lebensentwurf und sprach ihm die Eignung für sein gesamtes Erwerbsleben beziehungsweise eine generelle Bereitschaft ab, jemals arbeiten zu wollen und trat somit die Menschenwürde mit Füßen.

Doch der Familienvater blieb während des Gerichtsmartyriums standhaft und gab nicht auf: Das Land Bayern versuchte Watzl im Laufe des ersten Gerichtsverfahrens mit einer Abfindungszahlung von EUR 150.000 abzuspeisen. Und – so die offene Drohung – wenn er dieses Angebot nicht annehme, würde man ihm am ausgestreckten Arm verhungern lassen (sic!). Bei den horrenden finanziellen Einbußen – schon durch den Prozess waren Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe von 30.000 Euro angefallen – und einer Rente von monatlich 500 Euro kann sich jeder ausrechnen, wie lange dieses Geld gereicht hätte! Deshalb kämpft Manfred weiter. Wohl wissend, dass dadurch seine – ohnehin schon stark beschnittene –Lebensqualität und verkürzte Lebenserwartung weiter beschränkt werden.

Man könnte sich jetzt fragen, was es noch zu kämpfen gibt, immerhin hat es die Justiz nach knapp sieben Jahren geschafft, neben dem Schmerzensgeld von 100.000 Euro auch noch die Verpflichtung des Landes Bayern zum Ersatz aller finanziellen Folgeschäden auszusprechen. Auch der damalige ortsansässige Anwalt hatte offensichtlich keine Lust mehr, nun auch noch den restlichen Schaden einzuklagen: Die Akte schickte dieser trotz mehrmaliger Bitten von Watzl in den – aus seiner Sicht – wohl verdienten Winterschlaf.

Inzwischen ist die Klage von Rechtsanwalt Kristen aus Ludwigsburg beim Landgericht Ansbach eingereicht, in der Watzl mindestens weitere 440.000 Euro gegen das Land Bayern geltend macht. Im Vorfeld zeigte sich der „Freistaat“ wieder einmal stur und kampfeslustig und so ganz und gar nicht im Geiste der Bayrischen Landesverfassung: Watzl jedenfalls hat sich bereits auf eine Auseinandersetzung eingestellt, die ihn möglicherweise überleben wird, um zumindest seiner Familie ein finanziell sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Eine peinliche Blamage für den Rechtsstaat, wenn man bedenkt, dass in ähnlichen Konstellationen jeder noch so hohe Sachschaden innerhalb weniger Wochen reguliert ist. Ein zerstörtes Menschenleben im Gegensatz dazu ist im Freistaat offensichtlich nichts Wert …

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