Samstag, 9. Oktober 2004

grossstadtsurvivor

Weisheiten aus dem Untergrund

Wenn man so zwei, drei Jahre in einer wirklichen Großstadtlebt, stellt man irgendwann einmal fest, dass sich so eine Großstadt oft mehrnach den eigenen Bedürfnissen als denen der Einwohner richtet. So muss ichbeispielsweise jeden Tag an der Haltestelle Schönleinstraße einsteigen, am Alexum, und an der Eberswalder Straße aussteigen. Da stellt sich doch die Frage,warum fährt die U-Bahn nicht direkt von Schönleinstraße zu Eberswalder Strasse?

Ja, so hat Berlin da so seine ganz eigenen Eigenheiten, dieuns natürlich nicht passen, weil es nicht unsere Eigenheiten sind. Deshalbhaben wir hier ein ultimativ neues städtebauliches Konzept entwickelt: DieStadt macht, was wir wollen. Hört sich das nicht klasse an? Wir sind uns sicher,dass man damit die Lebensqualität aller Bewohner (oder zumindest von zweiendavon) maßgeblich verbessern könnte.

Das öffentliche Verkehrsnetz lässt sich so zum Beispielradikal vereinfachen. Im Prinzip braucht es nur noch fünf feste Bahnhöfe(unsere Wohnung, die Arbeit, der Park, das Hanf-Museum und der Checker), die imHalbminutentakt angefahren werden (es würde natürlich auch reichen, dass sienur fahren, wenn wir kommen). Das Ganze wird unterstützt von einer Handvollflexibler ShuttlebusLinien, die dann all das erreichen, was keinen festenBestandteil in unserem Leben darstellt. Was das an Einsparungen bringt! Es magzwar auf den ersten Blick diskriminierend klingen, ist aber auch für jeden eineErleichterung, der nicht wir ist. Keine nervigen Fahrpläne mehr studieren, niewieder Verspätungen, nie wieder, ach was auch immer. Wer einfach uns folgt undsein Leben einfach so ähnlich aufbaut (bei uns in der Nähe wohnt und arbeitet),hat keine Probleme mehr.

Da der Berliner Fahrplan dann mit wesentlich weniger Aufwanddie Mobilitätsbedürfnisse aller wesentlich besser befriedigt, müssen die Autoskomplett abgeschafft werden (jetzt habt euch mal nicht so, wir lebenschließlich auch ohne).

 

Und die Finanzierung des Ganzen haben wir auch schongeregelt. Berlin wird ab sofort durch die erste ganzjährige Love Parade derWelt zum absoluten Touristen-Zugpferd. Das Ganze ist relativ simpel zurealisieren. Wir bauen riesige Lautsprecher über den komplettenInnenring-Bereich von Berlin auf, die alles in einer angenehm bedröhnendenLautstärke beschallen. Damit hätten wir gesorgt, dass auch wirklich daskomplette Berlin mitfeiert! Die DJs sollten am besten einen Mix aus Techno undHouse darstellen – gerne wählen wir diese natürlich auch aus . . . wir wissenja ob unserer Rolle als Leithammel. Da bietet es sich auch gleich an, dieBeschallung und deren Pausen an unsere Schlafrhythmen zu koppeln – Vorteil füralle anderen, sie können auch mal schlafen und das noch zu sehr vernünftigenZeiten.

 

Für die öffentliche Ordnung haben wir auch schon gesorgt.Alle ehemaligen Berliner Polizisten werden zu „Anti-Konflikt-Managern“umgeschult. Die rennen dann in plüschenen, rosa Häschenkostümen durch dieGegend und dreschen mit aufblasbaren bonbonfarbenen Plüschknüppeln auf jedenein der sich nicht benimmt. Das tut zwar nicht weh, bringt aber allenBeteiligten einen Riesenspaß. Und Spaß ist das beste Mittel gegen Gewalt.Wussten wir doch schon immer.

 

Und um noch mehr Spaß in die Stadt zu bringen, führen wireinen Spieletag ein. Alle Berliner Mitbürger bekommen frei, alle müssen ausihren Häusern raus und wir sprengen willkürlich drei in die Luft (Häuser, nichtMitbürger). Während durch die überdimensionalen Lautsprecher nette Liedergespielt werden, rennen alle Berliner wie wild durch die Stadt und wenn derSound aufhört, muss ein jeder sofort das Haus besetzen, dem er am nächstensteht. Das ist dann sein Wohnort bis zum nächsten Spieletag. Da wir aber vorherdrei Häuser gesprengt haben, stehen einige Leute plötzlich auf der Strasse. Witzig,oder?

 

Ok ok, uns ist schon bewusst, dass dieser Spieletag auch einige Problememit sich bringt. Zum Beispiel muss das U-Bahn-System immer wieder unserenBedürfnissen angepasst werden, es muss über die Lautsprecher auch mal ein bissiwas erklärt werden – was ja zwangsweise heißt, dass weniger Musik läuft, undund und . . . aber wir sind uns sicher, wir kriegen das schon hin.

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