Mittwoch, 1. August 2012

Es geht nicht nur um Drogen – es geht um unser Rechtssystem

Bei illegalen Drogen setzt mitunter der Verstand aus, nicht etwa beim vermeintlichen Drogenkonsumenten, nein offensichtlich bei den Strafverfolgungsbehörden.
Dieser Eindruck kann zumindestens enstehen, wenn man folgenden Fall betrachtet (Siehe auch News vom 25.07.2012 auf hanfjournal.de). Nach einem schweren Unfall wird ein Unfallopfer bewusstlos in eine Klinik eingeliefert. Der Notarzt hatte zuvor erhebliche Schwierigkeiten dem Unfallopfer einen Zugang zu legen um ihm starke Schmerzmittel in Form von Morphium zu verabreichen.

Im Krankenhaus tauchte dann einige Zeit später ein Polizeibeamter auf, um das Unfallopfer zu vernehmen. Dies war nicht möglich, da dieser noch im Koma lag. Dem Beamten fiel allerdings auf, dass das Opfer zahlreiche Einstichstellen am Unterarm hatte und machte einen entsprechenden Aktenvermerk. Als dann in der circa. 2 Stunden nach dem Unfall genommenen Blutprobe auch noch „freie Morphine“ festgestellt wurden, führte dies dazu, dass gegen das Unfallopfer strafrechtliche Ermittlungen wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet wurde. Man warf ihm vor, Heroin besessen zu haben. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen, wurde die „Konsumfeststellung“ (Einstiche im Unterarm und Nachweis von Morphin im Blut) auch an die zuständige Führerscheinstelle gemeldet.

Diese sah in der Polizeimeldung – sprich in den Mutmaßungen – den Beweis dafür, dass das Unfallopfer Heroin abhängig wäre, und bereitete die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis vor.
Der Rechtsanwalt des Betroffenen konnte den Sachverhalt gegenüber der Staatsanwaltschaft „klären“, indem dieser auf den Notarztbericht hinwies, der zum einen die Einstichstellen erklärte und den Umstand, dass dem Mandanten Morphin als Schmerzmittel durch den Notarzt verabreicht wurde. Der Staatsanwalt stellt darauf hin das Strafermittlungsverfahren ein, da er nicht das Gegenteil beweisen konnte.

Zitat des Staatsanwaltes:
“Der positive Befund der Blutprobe auf Opiate kann nicht widerlegbar auf die ärztliche Morphin-Gabe am Unfallort zurückgeführt werden.”
Dem Rechtsanwalt kam es so vor, als wäre sein Mandant nur mit viel Glück durch die Maschen der Justiz geschlüpft.

Nur Glück gehabt?

Abgesehen von dem ärgerlichen Umstand, dass die ermittelnde Polizei den Notarztbericht schlichtweg nicht gelesen hatte, und somit ein Strafermittlungsverfahren in Gang gesetzt hat, genießt man als Verdächtiger in Strafverfahren Justizgrundrechte.
Neben der Unschuldsvermutung hat der Betroffene hier auch einen durchgreifenden Rechtschutz. Das heißt für den Betroffenen, dass er, abgesehen von dem unangenehmen Gefühl in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten zu sein, mit keinen negativen strafrechtlichen Konsequenzen rechnen muss, bevor seine Schuld zweifelsfrei bewiesen ist.
Anders sieht es allerdings im „Führerscheinrecht“ aus. Hier hat der Betroffene scheinbar wahnsinniges Glück gehabt, das ihm die Fahrerlaubnis nicht entzogen und eine MPU angeordnet wurde. Anders als im Strafrecht greifen im Fahrerlaubnisrecht keine Justizgrundrechte.
Hier ist der Betroffene in der Bring und Beweisschuld. Darüber hinaus sind die juristischen Möglichkeiten im Verwaltungsrecht sehr eingeschränkt. Hätte die Führerscheinstelle in dem Fall erst einmal eine MPU angeordnet – Verdacht auf Drogenkonsum, hätte der Anwalt recht schnell feststellen müssen, dass er gegen die Anordnung als solches keine Widerspruchs oder Klagemöglichkeit hat. Vogel friss oder stirb!
Entzieht die Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein hingegen, bestehen wieder Rechtsmittel. Dies tut sie auch grundsätzlich dann, wenn ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht vorlegt.

Hurra, wir leben ja schließlich in einem Rechtsstaat, oder?

Ja, der Rechtsstaat fängt da an, wo Bürger gegen behördliche Maßnahmen Rechtsschutz genießen, findet aber schnell seine Grenze, indem ein Entzug durch die Fahrerlaubnisbehörde regelhaft mit sofortiger Wirkung angeordnet wird und die unmittelbare Schutzfunktion mit der „Begründung“ Gefahrenabwehr ausgesetzt wird.
In dem beschriebenen Fall war die Sachlage wohl so eindeutig, dass die Führerscheinstelle die Entzugsverfügung schon sehr frühzeitig zurückgenommen hat, da die „Unschuld“ durch den Betroffenen und seinen Anwalt bewiesen werden konnte. In der Form sicherlich ein Einzelfall.

Dieser macht aber deutlich, dass schon der Verdacht auf Drogenkonsum eine unmittelbare Meldung an die Führerscheinstelle zur Folge hat, und damit schon weit vor Abschluss des etwaigen Strafermittlungsverfahrens eine Beweislastverlagerung auf den Betroffenen erfolgt.
Im Allgemeinen betrifft dies allerdings Konsumenten von illegalen Substanzen, macht die Sache aber nicht besser. Gerade Cannabiskonsumenten sehen sich seit Jahren der Situation gegenüber, wenn im Zuge einer Verkehrskontrolle bei ihnen noch THC im Blut festgestellt wird.

Gegen den Vorwurf, bekifft gefahren zu sein, kann sich der Betroffene durchgreifend zur Wehr setzten, da die Staatsanwaltschaft im Zweifelsfall beweisen muss, dass bei dem festgestellten Wert auch eine Wirkung vorgelegen hat. Kann sie dies nicht, können auch die ordnungsrechtlichen Sanktionen wie ein Fahrverbot nicht verhängt werden.
Da nun aber, wie im dargestellten Fall, der Verdacht auf Drogenkonsum respektive eine mögliche „Drogenfahrt“ unmittelbar durch die Polizei an die Fahrerlaubnisbehörde gemeldet wird, ist es an der Tagesordnung, dass die Fahrerlaubnisbehörde schon Maßnahmen, bis hin zum gänzlichen Entzug der Fahrerlaubnis anordnet, bevor ein Bußgeldbescheid ergangen oder gar rechtskräftig geworden ist.

In der Endkonsequenz muss ein Betroffener daher feststellen, dass zur unmittelbaren Bestrafung (vier Wochen Fahrverbot) eines Fehlverhaltens, dies auch bewiesen sein muss. Der gänzliche Entzug der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde aber schon aufgrund von Mutmaßungen erfolgt.

In der Essenz werden die Beweispflicht und damit die Arbeit der Staatsanwaltschaft völlig überflüssig, da man keinem ein Fahrverbot abverlangen kann, der aus verwaltungsrechtlicher Rechtspraxis als grundsätzlich fahrungeeignet eingestuft wird. Auch wird dadurch klar, dass die angedrohte Sanktion Fahrverbot grundsätzlich keine Wirkung entfalten kann.

Neben der verfassungsrechtlich bedenklichen Auslegung der Fahreignungskriterien, die grundsätzlich die angedrohte Sanktionsfolge für ein tatsächliches Fehlverhalten in Frage stellt, stehen die Sanktionsfolgen für Cannabiskonsumenten, im Vergleich zu Alkoholkonsumenten in keinem Verhältnis zu deren jeweiligen Gefahrenpotenzial für die Verkehrssicherheit.

Diese Rechtspraxis muss daher auf politischer Ebene kritisch hinterfragt werden.

Die Fraktion „Die Linke“ um den drogenpolitischen Sprecher Frank Tempel hat dazu im Juni bereits eine umfangreiche „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung gestellt.
Die Antwort der Bundesregierung stellt schon am Anfang klar, dass die größten Gefahren für die Verkehrssicherheit von Alkohol ausgehen. Auch stellt sie klar, dass die entsprechenden Rechtsnormen im Ordnungs-, Straf- und Verwaltungsrecht ausschließlich der Verkehrssicherheit dienen sollen.

Auf die kritischen Fragen hinsichtlich der Auslegung von Fahreignungskriterien und der Fahrerlaubnisverordnung, weicht die Bundesregierung aus und weist nur darauf hin, dass der Vollzug, und somit die Auslegung der Bundesverordnung Ländersache ist. Auf kritische Fragen hinsichtlich der sehr eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeit im Verwaltungsrecht verweist die Bundesregierung darauf, dass gegen einen verwaltungsrechtlichen Entzug Rechtsmittel bestehen, und ein Widerspruch dann auch grundsätzlich eine aufschiebende Wirkung entfaltet. Nur in besonderen Fällen könnte die aufschiebende Wirkung durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesetzt werden. Dass dies der Regelfall und nicht eine Ausnahme zur unmittelbaren Gefahrenabwehr darstellt, entzieht sich natürlich ihrer Kenntnis. Wie soll es auch anders sein, wenn der Vollzug des Verwaltungsrechtes Ländersache ist.

Auch die schon vor Monaten veröffentlichten Kenntnisse aus der Druid-Studie zur Gefahrenpotenzial psychotrop Wirkender Substanzen im Straßenverkehr, sind offensichtlich noch nicht bis zur Bundesregierung vorgedrungen. Andere Studienergebnisse, die die Wertung der Fahreignungskriterien in Frage stellen, werden zwar zur Kenntnis genommen, aber als noch nicht bestätigte Einzelmeinung deklariert. In der Summe erschöpft sich somit die Antwort der Bundesregierung darauf wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen, Nebelbomben werfen und sich für nicht zuständig erklären.
Die Antwort der Bundesregierung ist zwar ausweichend, und in sich nicht schlüssig und bedarf weiterer Nachfragen, macht aber auch deutlich, dass die Auslegung der Fahrerlaubnisverordnung dringend über die Länderparlamente hinterfragt werden muss.

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