Mittwoch, 31. August 2011

Wenn die Urne ruft

Am 18. September sind 2,7 Millionen Berliner zur Abgeordnetenhauswahl aufgerufen, wobei 22 Parteien um die Gunst unserer Hauptstädter buhlen. Auch die Hanffreunde haben die Qual der Wahl – und zwar zwischen Pest und Cholera, denn bislang hat keine Partei ein Herz für Kiffer gezeigt.

Es geschah 1975 in einem Lokal in Moabit, als ich dem Sohn eines britischen Besatzungssoldaten für ein Haschpiece mein Wahlrecht übertrug, weil der Träumer ein Faible für Willy Brandt hatte und deshalb die SPD in der Senatskanzlei sehen wollte. Das war ein guter Deal, denn erstens war die Wahlstimme im politisch verfilzten Westberlin keinen Pfifferling wert, und zweitens ging ich mit dem nichtwahlberechtigten Haschbruder politisch halbwegs konform. Also hievte der Schotte mit seiner Leihstimme das kleinere Übel an die Macht, und ich hatte ein reines Gewissen.

Mein Wahlrecht im Haschischrausch an einen Ausländer zu verhökern, war natürlich doppelt illegal und angesichts der dunklen deutschen Geschichte unmoralisch dazu – aber ich war jung und brauchte das Dope. Zudem war mir mit Ende des roten Jahrzehnts längst das Licht aufgegangen, dass das Politgeschäft ein schmutziges ist. Denn wer das Wahlvieh mit billigen Parolen und Angstmacherei vor sich her treibt und gänzlich ungeniert an der Nase herumführt, handelt unredlich und aus purem Eigennutz. Erschwerend kam seinerzeit hinzu, dass die inzestuösen Polit-Eintänzer im Rathaus Schöneberg nichts weiter als Marionetten der Bonner Republik waren, die die Trumpfkarte des Status einer Freien Stadt nicht auszuspielen wagten – aus Angst vor dem bösen Iwan. Statt aus der Insel im roten Meer des Bolschewismus ein Hongkong Europas zu gestalten, verordneten die Abgeordneten den Insulanern den Treueschwur auf die BRD, wofür es tüchtig Sold sprich Berlinförderung gab. Bis 1994 hing Westberlin an diesem unseligen Tropf, dessen Geldfluss die Spreeathener einlullte und zu Abhängigen der beiden sich regelmäßig abwechselnden Volksparteien SPD und CDU machte.

Und so verstummte meine Wahlstimme.
Einem Oskar Matzerath gleich blickte ich voller Skepsis auf meine Heimatstadt, die von derartig biegsamen Vollpfosten regiert und verwaltet wurde, dass man bis zum Knöchel in der Kloake der Provinzialität steckte. Die Verweigerung quittierten die Sozialdemokraten mit dem Radikalenerlass, und die Christdemokraten schimpften Leute wie mich eine Ratte und Schmeißfliege. Ich war die vom Osten in den Westberliner Bärenpelz gesetzte rote Laus, und noch heute klingt der Satz im Ohr: „Geh doch rüber in den Osten, wenn es dir bei uns in der Freiheit nicht passt!“
Freiheit? Das war in Westberlin ein großes Wort, das die kalten Krieger der BRD-Parteien bei der Hetzjagd auf Andersdenkende und Anderslebende im Schandmaul führten – befeuert von den Schmutzblättern des Springerkonzerns.

Im Januar 1989
fiel ich dann jedoch aus allen Wolken. Ich saß gerade im Aeroplan nach Tegel, als der Pilot die Botschaft verkündete, dass die Christdemokraten die Abgeordnetenhauswahlen auch ohne meine Beihilfe verloren hatten. Grund dafür war, dass so mancher CDU-Stammwähler der eigentlichen Gesinnung gefolgt und zu Republikanern übergelaufen war. Das machte den Weg frei für die Sozialdemokraten, die sich die „Alternative Liste“ ins Boot holten. Die Täuschung war perfekt. Unsereins glaubte ein paar Tage lang tatsächlich an die Loyalität der AL gegenüber ihren Wählern, hatten doch die grün-alternativen Hoffnungsträger für eine baldige hanfpolitischen Wende geworben – und das glaubhaft. Schließlich hatte die AL zwischen 1983 und 1985 sogar den Hochleistungskiffer Dieter Kunzelmann ins Abgeordnetenhaus entsandt. Der Mitbegründer der Kommune I. und legendären „Haschrebellen“ leistete dann auch ganze Arbeit, überstand keine Sitzung ohne Ausschluss und die Diäten gingen fürs Ordnungsgeld drauf.

Doch dann musste sich der Polit-Clown dem Druck der aus dem Westen importierten Realo-Bonzen beugen, zu denen seinerzeit bereits Renate Künast zählte. Unser heute noch aktive Haschbruder Kunzelmann passte nicht mehr ins grüne Konzept der Macht, denn wer „das“ Diepgen mit den Worten „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann“ ein Ei in die Schmalzlocke schmiert, der konterkariert den Weg der Grün-Alternativen ins humorlose Bürgertum. Mit der Regierungsverantwortung schwand der Zauber der AL – und der Nichtwähler musste seine staatsbürgerliche Askese nicht bereuen.

Ein Dreivierteljahr später,
am 9. November 1989, erlebte Berlin die wohl ungewöhnlichste Abstimmung aller Zeiten: Statt die Staatsbevormundung der DDR-Blockparteien mit einem Kreuzchen auf dem Wahlzettel von Hand abzusegnen, stimmten die Ostberliner zur Abwechslung mal mit den Füßen ab – und das mit Erfolg. Über Nacht wurde das „Schweinesystem“ auf Null heruntergefahren, um es am „runden Tisch“ von Bürgerrechtlern und Spät-Hippies neu zu programmieren. Wieder einmal keimte Hoffnung, denn bis zum endgültigen Ableben der DDR herrschte in Ostberlin blanke Anarchie – und das im guten Sinne. Plötzlich gab es die deutsche Kopie des „Freistaates Christiana“ auf dem Prenzlauer Berg. Der rechtsfreie Raum gestattete freies Wohnen und Leben, kein Amtsschimmel wieherte und in den Straßen wehte ein haschischgeschwängertes Lüftchen.

Doch Friede, Freude – Pustekuchen! Längst trieben aus dem Westen importierte Viren und Trojaner ihr Unwesen, und die erste „freie“ Volkskammerwahl am 18. März 1990 kündigte das Übel an, als der Vasall der West-CDU, Lothar de Maizière, zum aktiven Sterbehelfer der DDR bestellt wurde. Statt eines reformierten, blockfreien sozialistischen Paradieses zwischen Elbe und Oder wünschten sich die von Helmuth Kohl eingelullten Ossis die versprochenen blühenden Landschaften. Doch erstmal kamen Heuschrecken und Finanzhaie, dann die Treuhand, die im Handumdrehen ein ganzes Volk enteignete und die neuen Bundesländer zu dem machte, was sie heute sind: das Armenhaus Deutschlands.

Am 3. Oktober 1990
wurden schließlich auch die behelfsmäßigen Westberliner heim ins Reich geholt und mit einem ordentlichen Wahlrecht ausgestattet. 1998 war es dann so weit: Ich schritt zur Urne – angesteckt von dem Fiebertraum, SPD und Grüne würden das deutsche Haus mal tüchtig lüften und entstauben. Dem Traum folgte dann aber ein böses Erwachen, als das Schröder-Fischer-Regime in den Völkerkrieg gegen Jugoslawien, Arbeitslose und Kiffer zog. Statt dem Volk die Hand zu reichen und den Armen zu geben, haben SPD und Grüne lange Finger gemacht und die Sozialkassen geplündert. Als Mann der Ehre fühlte ich mich zutiefst beschmutzt, den Rattenfängern auf den Leim gegangen zu sein. Wie anmaßend und einfältig von mir, anzunehmen, die Grünen würden mehr als nur das Flaschenpfand zustande bringen!
Ich schaltete also wieder auf den Stand-by-Modus. Und ich habe mich köstlich amüsiert, als das Berliner Feierabendparlament die Kette des Bürgermeisters einem Schwulen anlegte, die Merkel die CDU sozialdemokratisierte und der Sarrazin die SPD asozialisierte.

Wie von selbst verkam die Parteiendemokratie zur Mediendiktatur, die den Polit-Fuzzis die Gesetze und Doktorarbeiten diktiert. Alles lausige Amateure, untalentierte Käsekacker und geldgierige Rußfurzer, um es mal in den Worten Egon Olsens, dem Chef gleichnamiger Bande, auszudrücken!

Und nun heißt es wieder einmal:
Wer kann Bürgermeister? Ginge es nach der Richtlinienkompetenz der rechtskonservativen Medien, wäre turnusgemäß ein CDU-Mann dran, der im Sündenbabel Berlin mal mit eisernem Besen durchgeht und die rot-rote Subkultur mit Stumpf und Stiel ausräuchert. Mitanpacken will auch die FDP, die einfach keinen Frieden mit den Berlinern schließen will, die ihre DDR-Biographie wie ein Kainsmal auf der Stirn tragen. Heißester Kandidat auf das Bürgermeisteramt ist aber Renate Künast, die Marktschreierin der grün gefärbten Schwarzen. Zuletzt haben wir da noch den Spitzenkandidaten der LINKEN, den wackeren Politikwissenschaftler Harald Wolf aus Wessiland, der als Steigbügelhalter für Klaus Wowereit medial am unvorteilhaftesten wegkommt. Natürlich sind auch wieder Klein- und Kleinstparteien mit von der Partie, die auf die Wahlkostenerstattung spekulieren und mit den skurrilsten Parolen auf Wahlfang gehen.

Kluger Mann, weise Frau,
was nun? Soll man sich wieder einmal nachsagen lassen, die rechts- und linksextremen Ränder zu stärken, weil man wie 2006 zu den 42 Prozent der aufgerufenen Wähler gehört, die sich den Gang zur Urne verkneifen? Natürlich ist dieser Vorwurf fiese Propaganda, der auch Cannabispatienten und Kiffer dahingehend manipuliert, doch ruhig weiter die eigenen Richter und Henker zu legitimieren. Und dazu zählen auch die Grünen, deren Spitzenkandidatin lautstark für ein drogenfreies Leben wirbt, da es „gesund und schön“ sei. Oh ja, dieses schöne Leben der Bionade-Bourgeoisie erleben wir bereits in Kreuzberg, wo sich Grünen-Chef Cem Özedemir eingenistet hat. Da sitzt er in seinem gentrifizierten Altbau, um sich mit seinesgleichen die Idylle der schwäbischen Gemütlichkeit zu schaffen. Dann wird schon mal das im Hause ansässige kurdische Café herausgeekelt und der Einzug einer Fixerstube verhindert. Na, wenn das keine Grüne Drogenpolitik ist!

Was bleibt?
Ja, die LINKE, die für „die Einführung staatlich regulierter Coffee-Shop-Modelle“ und ein „Drugchecking“ die Werbetrommel rührt. So steht es im Wahlprogramm der LINKEN, und die roten Socken meinen das wohl ernst. Wie sonst lässt sich erklären, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ein Verbotsverfahren gegen die mutmaßlich verfassungsfeindliche LINKE fordert? Das ist ärgerlich! Kaum will man mal als braver Staatsbürger per Volksabstimmung für die Rechte der Hanffreunde votieren, schon ist auch das antidemokratisch. Wie man es macht, man macht es verkehrt in diesem unserem demokratischen Vaterland.

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