Donnerstag, 3. März 2011

Keine Angst vor THC-Dieben

Acht Jahre können eine lange, sehr lange Zeit sein, besonders wenn man im Knast Däumchen dreht und an der Zellenwand eine Strichliste über die noch abzusitzenden Hafttage führt. Grund meines Gefängnisaufenthalts war der missglückte Versuch eines Haschischimports aus den Niederlanden nach Skandinavien.

Ich gebe zu, die Unternehmung war mehr als riskant, aber vor allem stümperhaft vorbereitet. Unsere Auftraggeber in Finnland und Schweden hatten damals zwei Tonnen Polle bestellt und teilweise schon angezahlt, doch womit wir nicht gerechnet hatten, war, dass die finnische Polizei ein Auge auf den Deal geworfen hatte. Bis Travemünde ging alles gut. Mein Partner Rainer nahm die Fähre nach Malmö, und ich die nach Helsinki. Konnte ich ahnen, dass mein Kontaktmann auf der Fähre, der mich verabredungsgemäß unbehelligt durch den Zoll bringen sollte, ein verdeckter Ermittler war?

Kurz und gut, nur einer kam durch, und das war Rainer, ich hingegen landete vor dem Kadi, der mir satte acht Jahre Zuchthaus aufbrummte. Drei Jahre davon schmorte ich in verschiedenen Besserungsanstalten, doch eigentlich hatte ich eine gute Zeit, denn der finnische Strafvollzug ist im Gegensatz zum deutschen doch um einiges erträglicher. Während man hierzulande Tüten kleben muss, wenn man nicht 23 Stunden in seiner Zelle hocken will, gewährten mir die Finnen eine Ausbildung zum Hochseefischer. Klar, die Arbeit auf einem Fischtrawler ist hart, aber darüber vergisst man die Zeit und die gute Seeluft hält Körper und Seele fit, auch ohne Frauen. Doch dann erinnerten sich die finnischen Behörden, dass ich ja Deutscher bin und die restlichen fünf Jahre auch in der Heimat absitzen kann, da es ja die spätere soziale Wiedereingliederung fördere. Ich war hin- und hergerissen, einerseits konnten mich nun meine Eltern und Freunde regelmäßig besuchen und herzen, andererseits bedeutete das, richtig weggeschlossen zu werden.
Die Rückkehr ins Germanenreich war dann auch ein regelrechter Schock, denn kaum hatte ich den Fuß auf deutschen Boden gesetzt, nahm mich auch schon die Staatsanwaltschaft ins Gebet, die der Meinung war, dass da noch ein paar Fragen offen seien – insbesondere die nach meinen Komplizen und Hintermännern. Nun gut, ich bin zwar nicht unbedingt der Hellste, aber deswegen noch lange kein Verräter, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass nach Ablauf von zwei Dritteln der Haftstrafe meine Anträge auf vorzeitige Entlassung fortwährend abgelehnt wurden.
Vor etwas mehr als einem Jahr war es dann soweit, man stellte mich nach acht langen Jahren vors Gefängnistor, wo mich zur freudigen Überraschung ein kleines Empfangskomitee erwartete, darunter mein alter Kumpel Rainer, der seine Tonne erfolgreich abgeliefert hatte und mit einem kleinen Vermögen nach Hause zurückkehrt war. Rainer, die treue Seele, hatte seinen alten Kumpel natürlich nicht vergessen und überraschte mich, kaum dass sich die Knastpforte geschlossen hatte, mit einem lukrativen Jobangebot. Ziel war es, mich wieder in die Gesellschaft der Kiffer und Dealer zu integrieren und die lange Haftzeit möglichst schnell vergessen zu machen. Diesmal ging es aber nicht um gewagte Kurierfahrten quer durch Europa, sondern um Hanfanbau unter Kunstlicht – und das im ganz großen Stil. Extra für diesen Zweck hatte Rainer eine leerstehende Bettfedernfabrik erworben, die bereits komplett mit Lampen und all dem Zeugs ausgestattet war und nur darauf wartete, in Betrieb genommen zu werden. „Das ist eine ganz sichere Sache“, versprach Rainer. „Du bist zu 50% Eigentümer der Anlage und zu einem Drittel am Gewinn beteiligt. In drei Jahren machen wir dann einen auf Palme und lassen uns von karibischen Schönheiten verwöhnen.“

Selbstverständlich schlug ich ein, zumal ich gar keine andere Wahl hatte bei den Schulden, die mir die süße Freiheit versauerten. Und Rainer hatte nicht zuviel versprochen: Der Ort der Unternehmung, ein kleines überaltertes Kaff auf dem Lande, war gut gewählt. Weder gibt es einen Dorfpolizisten, noch irgendwelche neugierigen und dummdreisten Kinder, die uns gefährlich werden können. Die Grow-Anlage ist auf dem neusten Stand der Technik und mit über 100 Lampen auf 200 Quadratmeter ordentlich bestückt. Dass Rainer das Equipment bei einer Auktion der Polizei günstig ersteigert hatte, gab dem Ganzen eine seltsame Süffisanz, die mich anfangs beunruhigte und schlecht schlafen ließ. Doch alle dunklen Vorahnungen verflogen im Nu, als endlich Licht wurde und die Pflänzchen im Eiltempo ins Kraut schossen. Die erste Ernte war dann auch eine Sensation und spülte einen ordentlichen Batzen Geld in die Kasse – auch dank unseres blutjungen, aber äußerst erfahrenen und talentierten Growspezialisten Lars, den Rainer im Internet auf einen bekannten Growerforum angeheuert hatte. Man kann es nicht anders sagen, alles läuft bis zum heutigen Tage perfekt und der Traum vom Paradies in der Südsee rückt näher. Die debilen Schnarchnasen aus dem Dorf haben uns längst ins Herz geschlossen, vor allem auch deshalb, weil wir den vereinsamten und gebrechlichen Alten zur Hand gehen, wo wir können. Zu diesem Zweck haben wir extra Lars’ kleine Freundin engagiert, eine ausgebildete Altenpflegerin aus Leidenschaft, die wie wir der persönlichen Erkenntnis folgt, dass nur eine wahrhafte und edle Gesinnung das Leben lebenswert macht.
Die bienenfleißige Maus ist wirklich ein Glückgriff, und ich muss zugeben, dass ich unseren Growmeister ein stückweit beneide, dieses liebevolle Geschöpf sein Eigen zu nennen.
Und so gingen die Wintermonate dahin, wir haben den Besuch des Schornsteinfegers überlebt, und die von uns verursachten Spannungsschwankungen des Stromnetzes sind bislang unbemerkt geblieben, weil es weit und breit keinen anderen illegalen Stromfresser außer uns gibt. Doch dann kam der Tag, der alles veränderte.
„Ach du Scheiße, Bienen!“ riss uns der verzweifelte Schrei unseres Growmeisters Lars aus der Monotonie der Blüten-Maniküre. „Männer, hier sind Bienen, verdammte Kacke auch!“ Und tatsächlich, mit jeder Minute wurden es mehr, bis schließlich ein ganzer Schwarm zwischen den Pflanzen tänzelte und sich dreist an dem bediente, was unseres Wissens gar nicht auf dem Speiseplan der Immen steht. „Die bestäuben uns die Plants, Männer, das geht nicht!“
„Quatsch, woher denn?“ knurrte Rainer, der kreidebleich dastand, und zunächst glaubte, dass Wort Biene sei das neue Modewort für Bulle. „Mach mal hier keine Panik. Die ollen Bienen tun keinem was, wenn man sie in Ruhe lässt.“

Und so war es dann auch, und zur Überraschung schien der tägliche Besuch der Bienen unseren Pflänzchen eher zu nutzen, als zu schaden. Es war geradeso, also würden unsere Babys vom Kitzel der Bienen zum Wachstum und Blühen angeregt. Entsprechend üppig fiel dann auch der Ernteertrag aus, den wir um sage und schreibe 50% erhöhen konnten. Man kann sich gut vorstellen, wie glücklich wir waren, als wir unsere Marge einsteckten – und besonderer Dank dafür galt unseren Bienen, die sich nach getaner Arbeit in ihr Winterquartier zurückgezogen hatten – zu unserem Leidwesen. Doch unser Glück war so groß, dass wir es teilen wollten. Und wer bot sich da besser an als unsere vergreisten Nachbarn, die uns brav gewähren ließen und uns übers Jahr mit selbstgebackenen Kuchen und schwarz gebrannten Obstschnäpsen verwöhnten. So organisierten wir ein nettes kleines Erntedankfest für alle Dorfbewohner, schön mit bestelltem Imbisswagen und einer kleinen Tanzkapelle. Es war ein goldener Oktobertag, als wir die paar Meter in das sonst so verschlafene Nest schlenderten, um uns einen schönen Nachmittag mit den Alten auf dem festlich geschmückten Dorfanger zu machen. Doch es entging unserem scharfen Auge nicht, dass an diesem Tag irgendetwas anders war als sonst. Das bunte Treiben im Dorf hatte einen mehr als fröhlichen Charakter, ja, es war geradezu bizarr. Die Greise waren völlig aus dem Häuschen und in ihren Augen stand der Ausdruck trunkener Freude, was aber offensichtlich nicht auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen war. Was war da los, rätselten wir, und ein seltsames Doppelgefühl aus Wohlgefallen und Angst beschlich uns. Die Ausgelassenheit der Alten brachte uns ernsthaft in Verlegenheit, und die Sache schien misslich zu stehen, denn nicht selten führen berauschende Feste zu Aggressionen und übler Katerstimmung.
„Ich glaube es ja nicht“, kam plötzlich unser Growmeister angelaufen. „Hier, guckt euch das an!“ Er hielt uns ein Stück Kuchen unter die Nase. „Das ist Honigkuchen! Los, riecht mal!“ Wir rochen an dem Gebäck. „Und! Fällt der Groschen? Unsere Opas und Omas sind alle stoned von dem Zeugs!“

Und tatsächlich, der Kuchen roch nach unserem Gras. Wir sahen uns verwundert an und waren zunächst völlig perplex.
„Wisst ihr, was ich glaube?“ sprach Lars aus, was alle dachten. „Der Honig für den Kuchen ist von unseren Bienen. Die Biester haben uns beklaut! Ist mir zwar rätselhaft, aber die scheinen tatsächlich THC-haltigen Honig zu produzieren!“

Unser Growmeister sollte Recht behalten, denn nachdem wir uns den Honigkuchen reingezogen hatten, waren wir breit wie nie zuvor. Am nächsten Morgen sind wir dann ins Dorf und haben dem fast hundertjährigen Imker die komplette Honigernte einschließlich aller Bienenstöcke abgekauft. Ja, und jetzt züchten wir nicht nur Gras unter künstlichen Bedingungen, sondern auch Hasch-Immen, denen wir den Winterschlaf abgewöhnen wollen. Ja, und wenn uns das gelingt, dann schreibe ich darüber eine Doktorarbeit.

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