Mittwoch, 13. Dezember 2006

Naomi: Aquarium (mole listening pearls)

>> Pop

Es gibt wieder frischen Stuff von
Mannheims Kult-Label mole, was
demnächst auch zum zehnjährigen
Bestehen unter dem Namen „Mole 75 –
10 Years“ eine spezielle Kompilation
(CD+DVD) mit neuen Titeln und den
besten Videos von Mole-Künstlern zum
Besten geben wird. Bis dahin schwimme
ich durchs „Aquarium“, dem dritten Album von Naomi aus Berlin.
Was 1996 an einer Bushaltestelle irgendwo in der Lüneburger Heide
begann, wo sich die Wege von Bernd und Nico zum ersten Mal
kreuzten und sich herausstellte, dass sie seit zwei Jahren in Hamburg
zwei Straßen voneinander entfernt leben, ohne sich je begegnet zu
sein, führte 1998 aus reinem Privatvergnügen zu ihrem gemeinsamen
Projekt Naomi. Nach den ersten Demos sind die „Menschen von
Mole“ umgehend angetan und nach zahlreichen Single-
Veröffentlichungen, Beiträgen zu Compilations und Remix-Aufträgen,
beenden sie die Arbeiten zu ihrem Debütalbum „Everyone Loves
You“, das Anfang April 2002 veröffentlicht wird und mit deliziösem
Pop im Zeitlupenbeat brilliert. Mittlerweile nach Berlin übergesiedelt,
erscheint 2004 mit das grandiose Album „Pappelallee“, was
elektronische Strukturen mit akustischer Gitarre, Vocoder-Vocals
mit handgespielter Melodika, Beatbox-House mit Jazzbesen-Ballade,
computerisierten Reggae mit Singer-Songwritertum kreuzt. Und was
sich auf der „Pappelallee“ schon andeutete, erblüht hier in Albumlänge:
Naomi sind fulminante Songwriter, die perfekt zwischen bittersüßen
Harmonien und entspannten Rhythmen, wie man sie sonst nur von
Air kennt, balancieren und auf „Aquarium“ endgültig der Downbeat-
Schublade entsteigen. Wohltuende Songs, atmosphärisch dicht wie
immer, doch das Duo verzichtet diesmal fast völlig auf die
Klanglandschaften von früher, auf tragende Samples, Echoschleifen
und flächige Sounds. Stattdessen gibt’s reduzierte bis minimale
Arrangements, Gitarren und E-Piano, Mellotron und sparsame
Synthesizer über trockenen, HipHop-beeinflussten Beats. Ihre
chronische Liebe zu Pop und Songwriting schmuggeln Naomi durch
einen eigenwilligen Mix aus strahlenden Melodien und relaxtem
Understatement, aus großen Emotionen und lakonischen Details
geschickt in den elektronischen Kontext. Dazu reflektierende Texte,
da man die Protagonisten aus dem Spiegel kennt: Der Tagträumer
in „Personal Big Bang“, der vor lauter großen Plänen untätig sitzen
bleibt, oder der Verlassene in „Perfect Day In Hell“, der seiner Liebe
einen hilflosen Brief aus der Gefühlswüste schreibt. Allen voran die
erste Auskopplung „Another Bite Of The Apple“ sind die Songs meist
klassisch strukturiert und fast durchweg single-tauglich. Am besten
gefällt mir „Anything Can Change“, da ich bei vocoderverzerrten
Stimmen grundsätzlich schwach werde. So plakativ wie tiefgründig,
so kantig wie emotional, und trotz verquerer Momente bringen Naomi
die Welt ins Reine, denn „Needle On The Record“ oder „How Many
Loves“ stellen klar: Man kann zu Verwirrung auch tanzen.
www.mole.de

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