Mittwoch, 22. Januar 2020

Ich habe große Städte gesehen – Jörg Fausers Lyrik

Auch hier sind die Topoi dieselben wie in seiner Prosa: Rausch, Sex und die Einsamkeit des Dichters


Jörg Fausers Gedichte sind nun im Diogenes Verlag in einer schönen Neuauflage mit dem Titel „Ich habe große Städte gesehen“ erschienen. Dass Fauser ein Mensch der Großstadt war und dass die Natur in seiner Lyrik keine Rolle spielt, dürfte inzwischen bekannt sein. Insofern sind die folgenden Verse paradigmatisch für sein gesamtes lyrisches Arbeiten zu sehen.

Natürlich spielen auch Drogen wieder eine wichtige Rolle, wie in dem Gedicht „Ein kranker Mann stirbt“:

„Jetzt weißt du, es ist nicht der Schlaf, 
wenn der Atem dir stockt und dein dünnes Fleisch
die Nadel nicht mehr spürt.“


Wie in der Prosa auch, so besitzen auch die „harten Drogen“ wie Heroin, Opium usw. in Fausers Lyrik eine überragende Rolle. Die drei oben stehenden Verse beziehen sich auf eine Heroin/Opium-Injektion und das dünne Fleisch steht stellvertretend für den ausgemergelten Körper eines Junkies. Auch der stockende Atem ist eine Metapher für die mit Heroin/Opiumkonsum einhergehende Atemdepression. Und der Schlaf besitzt eine doppelte Bedeutung, da er sowohl den traumartigen Zustand des Rauschs als auch des wartenden ewigen Schlafs, also den Tod, meint.

An anderer Stelle heißt es:

„Aus dem dunkel geschweißten Plüsch
Senkt sich die Nadel, 
und Gottes Medizin
strömt durch die Kanüle 
in das durstige Blut.“


Hier dürfte bereits ersichtlich sein, dass Fausers Lyrik sich nicht reimt, sondern im Kontext der modernen Lyrik der Beat-Generation und der Cut-Up-Technik steht. Vorbei die Zeit der lustigen, traurigen, passenden und unpassenden Reime, denn Fausers moderne Welt ist selbst in der Lyrik grau und grausam geworden, sodass Reime hier nichts mehr verloren haben.

Fauser rekurriert in seinen frühen Gedichten vor 1970 auch häufig auf die Flower-Power-Bewegung, ohne sich von dieser vereinnahmen zu lassen oder diese zu glorifizieren. So erwähnt er in seinen Gedichten das berühmte Lied von Janis Joplin „Me and BobbyMcGee“ ebenso wie den einzigartigen Dichter der Beat-Generation, Jack Kerouac. Diesen, behauptet das lyrische Ich in „Manchmal mit Lili Marleen“, habe schon längst der Tod ereilt, wie die Mutter behauptet. Und dann folgt der Schwenk von Kerouac zu den anderen:

„Und die anderen
Die sich in Cold-Turkey-Gefängnissen aufhängten
In Badezimmern absackten oder einfach irgendwo im Park
Die gleichen Gesichter die gleiche Sinnlosigkeit
Das kalte ausgehungerte Fleisch
Nachts träume ich manchmal von der Spritze
Ich hab gesehn wie sie sich in Penis
Und Halsschlagader fixten
Meine Freunde in der Morphiumbaracke“


Deutlicher und sezierender kann man die Sucht nach den Opiaten und das damit verbundene Elend kaum beschreiben.

Auch die Metropole Berlin findet in Fausers Lyrik einen angemessenen Platz. Auch hier geht es um die üblichen Themen, um Drogenbeschaffung, Drogenkonsum und die Folgen des Drogenkonsums:

„kaltes Flackern im Raum, unten
Hole ich aus der griesgrämigen Apothekerin
Polamidon raus, du oben mit meiner letzten Vene, niemand hört zu, allein, 
U-Bahn-Apotheose am Nollendorfplatz,
fixiert auf dich, die Vene am kleinen Zeh,
Regen in Berlin-West, Regen 
Auf dem Kontinent des letzten Scripts,
später total aufgeschmissen 
in der dadaistischen Phase des Entzugs,
verwanzte Spritzen, kichernde
Ku’damm-Ratten, völlig kaputt“


Cannabis spielt in Fausers Lyrik zwar nicht dieselbe prominente Rolle wie Morphium und Heroin, aber es wird auch entsprechend gewürdigt. So heißt es in dem Gedicht „Alter Mann mit Sandwich“:

„ich kam natürlich wieder zu spät
Sah schon von weitem im Halbdunkel diese
Schlange von Typen in irgendeinem Vorhof
Der Hölle und dachte warum spiel ich
Jetzt nicht Flipper oder lieg bei Stella
Im Bett und frühstücke Bouillon
Was soll ich hier Mann
Oder in Frankfurt noch ‚ne Mütze Schlaf
Und dann ins Café Weiß und ein cooler Joint
In der Anlage am Stadtbad“


Im Gegensatz zum transzendierenden, dem Tode nahebringenden Opium und Heroin ist Cannabis also cool und besitzt für das lyrische Ich in Fausers Gedichten nicht die existenzielle Bedeutung der harten Drogen. Dieser Befund traf ja bereits für die in den vorigen Ausgaben des Hanf Journals getroffenen Aussagen bezüglich Fausers Prosa zu. Opium, Heroin und Morphium spielen die zentrale Rolle, da Fauser viele Jahre seines Lebens abhängig und hochgradig süchtig war. Fauser selbst analysierte später diese Sucht als eine Erkrankung. Diese Erkrankung betrifft für ihn im Wesentlichen den menschlichen Stoffwechsel. Dass ihm der Entzug gelang, wobei er immer wieder rückfällig wurde, hat er als einen großen persönlichen Erfolg gesehen und dennoch blieb er ein Leben lang in stofflichen Abhängigkeiten verhaftet. Nachdem er sich nämlich von den harten Drogen entwöhnt hatte, fing er an, unmäßig zu trinken. Und damit ist nicht gemeint, dass er zwei oder drei Biere am Tag trank. Vielmehr soff er regelrecht, um damit vielleicht den Rausch kompensieren zu können, der ihm durch die entgangenen Opium- und Heroinstoffe fehlte. 

Hierzu könnte man aus heutiger Sicht vielleicht anmerken, dass es für Fausers Gesundheit besser gewesen wäre, wenn er sich stärker Cannabis zugewendet hätte. Denn Fauser kiffte auch in seinen späten Jahren hin und wieder gerne. So berichtet ein Manager aus dem Verlagswesen, der des Öfteren mit Fauser auf Sauftour ging, dass dieser nach einer Unmenge an konsumierten Bier und Schnaps immer noch gerne einen Joint durchzog. Fauser war also nicht gegen Cannabis eingestellt, er schätzte es sogar. Und diese Sympathie blitzt in manchen Gedichten des Gedichtbands „Ich habe große Städte gesehen“ durch. Vielleicht ist es in diesem Sinne schade, dass er das grüne Kraut nicht mehr schätzte, denn wer weiß, vielleicht hätte er damit länger und besser leben können. Denn eines kommt auch in Fausers Lyrik glasklar ans Tageslicht: Harte Drogen wie Opium und Heroin zerstören das menschliche Leben bis ins Mark ebenso wie krasser Alkoholismus. Solche tödlichen Nebenwirkungen sind bis heute von Cannabis nicht bekannt.

Insgesamt kann ich nur eine deutliche Leseempfehlung für Fausers Gedichte aussprechen. Für mich gehören sie zum Besten, was die moderne deutsche Lyrik zu bieten hat. In diesem Sinne sei auch versichert, dass es bestimmt Freude macht, Fausers Gedichte nach dem Genuss von etwas Cannabis – natürlich nur, wenn der Arzt es auch verordnet hat – zu lesen. Denn dann besteht die Möglichkeit, sich von seinem Sprachzauber völlig in seine Welten versetzen zu lassen und den ernüchternden und schockierenden Blick auf Tod, harte Drogen und große Städte besser zu verstehen und zu akzeptieren.

Christian Rausch  

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2 Kommentare
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Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Wären wir doch alle wieder offen für dichten und denken,und gesunde Musik für den Geist,wären einige überflüssige Probleme beseitigt.Der Legalisierungsstillstand ist aber erstmal fix.

Hans Dampf
4 Jahre zuvor

Auch wenn ich Gefahr laufe, mich unbeliebt zu machen. Es gefällt mir nur wenig wenn im H.J. für ,,harte” Drogenlektüre geworben wird. Und dann wird auch noch versichert, es würde Freude machen diese Gedichte zu lesen. Mir jedenfalls nicht. Ich bin froh diese Nollendorfzeiten überlebt zu haben. Das war kein Spaß und ist es für viele auch heute noch nicht. Auf ganz junge Menschen mit noch mäßig Erfahrung können so bestimmte Aspekte des harten Drogenkonsums reizvoll erscheinen. Das war bei mir genau so.( Christiane F. )
Aber nichts für ungut. Wollte ich nur mal sagen. Peace.