Samstag, 25. Mai 2019

Cannabis – mal anders

Hanfanwendungen jenseits von Joint und Vaporizer


Von Markus Berger

Kaum eine Substanz hat in der vergangenen Zeit derart an Salonfähigkeit dazu gewonnen wie der Hanf. Cannabis ist als Gewächs, Rauschmittel, Medizin, Nutzpflanze und Politikum in aller Munde, und aus einer ehemals von der „Reefer Madness“ abgestempelten „teuflischen“ Pflanze ist ein Mittel geworden, das selbst in der sogenannten normalen Gesellschaft immer mehr Eingang findet und auch von Menschen goutiert wird, die noch vor kurzer Zeit mit „Drogen“ so überhaupt nichts am Hut hatten.

Cannabis wird als Teil unseres Lebens immer gewöhnlicher – und das ist eine äußerst positive Entwicklung, auf die wir lange Jahre hingearbeitet haben. Nun ist aber das Spektrum des Hanfs als Gebrauchspflanze mit dem Rauchen und der Nutzung als Rauschmittel noch lange nicht erschöpft. Es gibt nämlich Anwendungen, die uns exotisch anmuten und sehr ungewöhnlich erscheinen. Und diese schauen wir uns hier an.

Bis heute genießen die entsprechenden Anzeigen, die für „Karrer’s Haschisch“ in den Zeitungen vergangener Jahre abgedruckt waren, Kultstatus. Auf die Anwendung von Hasch und Haschöl als Mittel zur Bekämpfung von Hühneraugen wollen wir an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingehen. Zwar ist diese ehemalige Anwendung, die gerade mal hundert Jahre zurückliegt, durchaus ungewöhnlich, aber eben mittlerweile recht bekannt und deshalb schon lange nicht mehr so kurios. Schauen wir uns lieber Hanfanwendungen an, die bis zum heutigen Tage eher exotisch erscheinen.

Da wäre zum Beispiel die medizinische Nutzung von Cannabiswurzeln und -stengeln, die innerhalb der Chinesischen Heilkunde schon vor mindestens 5000 Jahren bekannt gewesen war. Die ausgekochte oder zu Saft bzw. Paste verarbeitete Wurzel des Hanfs wurde im Land der aufgehenden Sonne zur Behandlung von Schmerzen verwendet. Auch die Heilkunde der antiken Römer kannte Anwendungen von gekochter Hanfwurzel zur Schmerzbekämpfung. Darüber hinaus legten sie die rohe Wurzel der Cannabispflanze auf Verbrennungen auf, um diese zu lindern.

Die eingeweichte Wurzel des Hanfs war jedoch im Europa des 16. Jahrhunderts ebenso bekannt – hier wurden Gicht und rheumatoide Arthritis mit dem Präparat behandelt, der Saft der Hanfwurzel galt als sicheres Mittel bei Verbrennungen. Auf den Internetseiten der niederländischen Hanfsamenbank Sensi Seeds findet sich seit einiger Zeit eine wachsende Sammlung guter Texte zu den diversen Cannabisaffinen Themen. Auch zur medizinischen Nutzung der Hanfwurzeln ist ein erhellender Artikel zu lesen. Der erläutert dazu: „Der römische Historiker Plinius der Ältere schrieb in seinem Werk Naturalis Historia um 79 n. Chr., dass in Wasser abgekochte Cannabiswurzeln zur Zubereitung eines Präparats verwendet werden könnten, mit dem sich Gelenkschmerzen, Gicht und akute Schmerzen lindern lassen. Er erwähnte außerdem, dass die rohe Wurzel zur Behandlung von Verbrennungen direkt aufgelegt werden könne, um Schmerzen und Blasenbildung zu vermindern; doch sie müsse häufig ausgetauscht werden, um eine Austrocknung zu vermeiden. Und auch der römische Arzt Dioskurides bestätigte, dass Umschläge aus gekochten Cannabiswurzeln zur Behandlung von Entzündungen, Gicht und ‘überspannten Sehnen’ angewendet würden. Darüber hinaus schrieb der griechische Arzt Oribasius, die ‘trockene’ Wurzel könne ebenfalls auf Hautausschläge wie beispielsweise subkutane (unter der Haut gelegene) Zysten aufgelegt werden, wenn man sie zu gleichen Teilen mit Taubenkot vermischen würde – eine Behauptung, die jedoch in keiner anderen Quelle zu finden ist.“

Die Wurzeln der Hanfpflanze enthalten viele verschiedene Wirkstoffe, die zum Teil im Rest der Pflanze nicht vorkommen. Darunter fallen diverse Terpene, zum Beispiel eines mit dem lustigen Namen Friedeline, verschiedene Alkaloide und sogar ein Wirkstoff, der von den Nachtschattengewächsen her bekannt ist, nämlich das potenziell hoch giftige Atropin, das in der modernen Schuldmedizin angewendet wird. Cannabinoide, wie sie im Hanfkraut gewöhnlicherweise vorkommen, finden sich in der Cannabiswurzel nur sehr sparsam – so lässt sich dort unter anderem eine geringe Quantität an Cannabidiol (CBD) und dessen inaktiver Säureform CBDA nachweisen.

Wie geht man nun mit Hanfwurzeln um, damit man sie verwenden kann? Wird die frisch ausgegrabene Wurzel für einige Stunden ausgekocht, entsteht eine dunkle und ölige Substanz, die direkt als Salbe oder Creme oder aber als Zusatz zu einem Umschlag benutzt werden kann. Wunden, Quetschungen und Verbrennungen lassen sich zum Beispiel damit behandeln. Die getrocknete Wurzel kann darüber hinaus pulverisiert und als Zusatz für Salben, Ölen, Alkoholika, Butter und andere Mittel verwendet werden. Die typische Rauschwirkung, die wir vom Cannabiskraut her kennen, lieben und schätzen, ist allerdings bei Verwendung der Wurzeln nicht zu erwarten.

Wie wir sehen, ist der Hanf eine Pflanze, die vielfältig genutzt werden kann, und auch die Wurzeln, die in der Gemeinschaft der Hänflinge bislang eher ein Schattendasein des Unbekannten fristeten, sind interessanter, als es zunächst den Anschein erwecken mag. Die bekannteste Technologie im Umgang mit Cannabis ist jedoch sicherlich die des Rauchens, und da wir in diesem Artikel die für unsereins eher ungewöhnlichen Anwendungen betrachten, werfen wir nun einen Blick auf exotisch anmutende Formen des Rauchens von Cannabis, die mit dem Genuss eines normalen Joints nichts zu tun haben.

Wer sich mit den Spielarten der Ethnobotanik auskennt, insbesondere mit der indigenen Ethnobotanik des südamerikanischen Kontinents, der wird schon einmal von den berühmt-berüchtigten Friedenspfeifen der „Indianer“ gehört haben. Auch in zahlreichen Wildwestfilmen wird diese Pfeife immer mal wieder erwähnt und gezeigt – freilich, ohne zu erwähnen, was sich darinnen befindet. Lösen wir es auf: Gemeinhin gibt es keine bestimmte Pflanze oder Pflanzenmischung, die in eine solche Pfeife gestopft wird, sondern vielmehr zahlreiche Kompositionen aus Kräutern, Harzen, Blüten und so weiter, die von Stamm zu Stamm unterschiedlich zusammengemixt werden. Diese Mischungen nennt man gemeinhin „Kinnikinnick“, und sie bestehen – meist auf der Basis von Bärentraubenblättern – aus allen möglichen Gewächsen bzw. Gewächsteilen, nicht immer, aber häufig aus psychoaktiven bzw. pharmakologisch aktiven Pflanzen.

Kinnikinnick ist also ein Potpourri aus unterschiedlichen Rauchkräutern, bedeutet auf Deutsch etwa „Das Gemischte“ und ist – in abgewandelter Form – auch in unserem Kulturraum bekannt gewesen. Und zwar unter dem Namen „Knaster“. Die im Volksmund bemühte Verwendung des Begriffs Knaster oder Knastertobak als Synonym für den Hanf deutet schon darauf hin, dass den Mischungen im deutschsprachigen Raum auch Cannabis beigegeben wurde. Der Hamburger Autor und Drogenforscher Christian Rätsch erklärt: „Knaster ist eine deutsche Entsprechung zum indianischen Kinnikinnick. Beides sind Überbegriffe für Produkte, nämlich aus mehreren möglichen Zutaten bestehende Rauchmischungen für Pfeifen (Knasterpipen und Friedenspfeifen). Eine brauchbare Grundlage für Knastermischungen sind drei gleiche Teile Huflattichblätter, Ehrenpreiskraut und Brombeerblätter. Der Knasterer kann alles selbst in Wald, Wiese und Au sammeln. Dazu kann man etwas ‘Kraut’ (Cannabis) pfeffern und selbstgezogenen Tabak reinschneiden.“ Die meisten Cannabisfreunde werden beipflichten, dass der Hanf eine ganz besonders geeignete Zutat für eine Pfeife ist, die den zwischenmenschlichen und inneren Frieden bringen soll.

Eine weitere, ziemlich unbekannte Anwendung von rauchbarem Cannabis haben wir mit einer Reihe von kommerziellen Zigarettenprodukten, die einstmals den Markt der Rauchwaren bereicherten. Zu diesen für heutige Verhältnisse ungewöhnlichen Rauchanwendungen schrieb auch der bekannte Cannabisautor Hans-Georg Behr einige aufschlussreiche Zeilen. „Direkt aus Alexandrien stammten die Zigaretten der Firma Simon Arzt, 1869 gegründet und sehr erfolgreich mit ihrer No. 2, die 7 Prozent ägyptischen Hanf enthielt. Im selben Jahr führte Österreichs Tabak-Regie anlässlich der Eröffnung des Suez-Kanals die Khedive mit 5 Prozent Hanfanteil ein und zur Weltausstellung 1873 die Nil mit 8 Prozent ungarischem Hanf. 1878 folgte noch die Egyptische II. Sorte mit nahezu identischer Zusammensetzung der Simon Arzt No. 2. Simon Arzt gibt es noch, allerdings mit anderen Liefernummern, auch Khedive und Nil, aber seit 1925 allesamt ohne die ganz besondere Würze. Im norddeutschen Raum gab es verschiedene kleine Marken mit oft aufreizenden Namen wie ‘Arabische Nächte’ oder ‘Harem’, die ebenfalls bis zu 9 Prozent Hanf enthielten und allesamt während des Ersten Weltkriegs eingestellt wurden.“

Diese Zigaretten haben nichts zu tun mit den Cannabiszigaretten der heutigen Moderne, wie es sie zum Beispiel in der Schweiz seit kurzer Zeit gibt. Das sind Tabakerzeugnisse, die mit CBD-haltigen Hanfblüten angereichert werden, dafür aber nur verschwindend geringe Anteile an THC aufweisen.

Bekannt sind weiterhin die ehemals in den Apotheken erhältlich gewesenen Asthmazigaretten, von denen fast jeder Hanf liebende Mensch schon mal gelesen haben wird, dass sie zur Zeit ihrer Verfügbarkeit neben anderen Pflanzen, wie dem Huflattich, den psychoaktiven Stechapfel (Datura stramonium) enthielten. Weniger bekannt ist, dass es auch pharmazeutische Asthmazigarillos gab, die ebenso Hanf enthielten. Wir kennen beispielsweise „Neumeiers Cigarillos“ von 1913 und diverse Asthma-Räucherpulver der Marke „Hadra“ aus den 1920er-Jahren, in denen Stechapfel, Eukalyptus, Lobelie, Tabak, Cannabis und andere pflanzliche Bestandteile zum Einsatz kamen. Die einstigen Zigaretten und pharmakologischen Räucherungen enthielten also nicht nur Tabak und weitere Gewächse, sondern gleichermaßen Cannabis! Und unsere Politiker wollen uns erzählen, der Hanf sei bei uns eine kulturfremde Pflanze!

Zum Abschluss dieser Exkursion noch etwas, was kaum jemand weiß: Hanf kann auch geschnupft werden! Ethnographische Belege hierfür finden wir zum Beispiel in Nepal. Dort wird das sogenannte Bhang, also pulverisiertes Hanfkraut, zur Behandlung einer laufenden Nase durch dieselbe gezogen. Christian Rätsch berichtet: „Bhang ist sehr fein zermahlener Hanf, der vor allem als Schnupfenmittel geschnupft wird. Erst bei zehn bis zwölf ‘Nasen’ wirkt er psychoaktiv“. Und tatsächlich: Zermahlenes Hanfkraut kann, wenn es in niedriger Dosierung als Snuff Verwendung findet, Schnupfensymptome bekämpfen. Das gilt nicht nur in Nepal, sondern auch für unsere Gefilde und unsere heutige Zeit.

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Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Die zunehmende Normalität, ist in den meisten gesellschaftlichen Umfeldern noch nicht angekommen.Alles noch wie gehabt.Vielfach glaubt man an Einstiegsdroge,Kiffer sind Taugenichtse mit krimineller Energie.Hat man einen Zahnstocher bei sich,ist das gleich bewaffneter Drogenhandel usw.Außerhalb Deutschlands mag es besser geworden sein mit der Normalität von Marihuana.