Donnerstag, 25. April 2019

Bewusstseinsveränderung spannend und fundiert erklärt

Warum Michael Pollans Wälzer „Verändere dein Bewusstsein“ auf jeden Fall eine Lektüre wert ist.


Es gibt Bücher, die sollte man einfach gelesen haben. Eine solche Empfehlung spreche ich keinesfalls leichtfertig aus, aber selten ist sie mir so einfach gefallen wie bei Michael Pollans im Kunstmann Verlag erschienenem Opus Magnus „Verändere dein Bewusstsein“. Der Schutzumschlag des Buchs ist für Psychedelik-Freaks ansprechend gestaltet. Und der Untertitel klingt sperrig, ist aber vielsagend „Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt“. Ist der Titel selbst noch mehr oder weniger als Befehl zu verstehen, das Bewusstsein zu verändern, so zeigt der Untertitel an, wozu das Ganze dienen soll. Die Bewusstseinsveränderung des Individuums ist für zahlreiche Bereiche des Lebens nötig. Denn ein verändertes Bewusstsein kann beinahe in allen Lebenslagen behilflich sein. Bei Sucht- und Depressionserkrankungen, dies zeigt Pollan in seinem Buch eindrucksvoll und wissenschaftlich fundiert auf, helfen häufig psychedelische Substanzen, um eine Bewusstseinsänderung herzustellen.

Das bedeutet dann, dass durch die durch einen Fachmann (Psychologen usw.) angeleitete Einnahmen von LSD oder Psylocybin helfen können, die Sucht zu überwinden. Dabei weißt Pollan ausdrücklich darauf hin, dass es nicht der konsumierte Stoff selbst ist, der die Sucht oder die Depression besiegt. Es ist vielmehr das durch die psychedelischen Stoffe ermöglichte Erlebnis, das landläufig auch als Reise beziehungsweise Trip bezeichnet wird, welches dem Konsumenten einen neuen Blick auf sich selbst und seine Krankheit ermöglicht. Dadurch wird es dann auch möglich, die eigene Krankheit im neuen Licht zu sehen und diese zu besiegen. Ebenso verhält es sich mit den Gebieten der Todesfurcht und Transzendenz. Es ist nicht umsonst häufig kolportiert worden, dass sich die Granden der LSD-Forschung wie Aldous Huxley oder Timothy Leary auf dem Totenbett LSD haben verabreichen lassen. Dadurch konnten sie im Augenblick des Todes die Furcht vor demselben überwinden, da es ihnen durch den Trip bereits möglich war, sich in transzendente Welten zu bewegen. Aber heute ist dies ein ausgeprägter Forschungszweig. So gibt es heute zahlreiche Ärzte, welche dem Tode geweihten Krebspatienten LSD oder Psylocybin verabreichen, um deren Angst vor dem Tod zu nehmen. Und diese Methode scheint tatsächlich zu funktionieren, da viele der schwerstkranken Patienten nach dem Trip angeben, dass sie jetzt keine Angst mehr vor dem Tod besäßen.

Die Erfahrung des Trips hat sie nämlich das große Ganze erblicken lassen, in dessen Angesicht das eigene Schicksal seine Bedeutungsschwere verliert. Doch nach diesen kurzen, ersten Eindrücken lohnt ein genauerer Blick in den Inhalt. Zum Inhalt: Michael Pollans Buch „Verändere dein Bewusstsein“ ist eine ziemlich faszinierende Erkundung der neueren Forschung zu Psychedelika wie LSD und Psilocybin. Darin werden die ›neurale Korrelation‹ von mystischer und spiritueller Erfahrung und die Mechanismen von weitverbreiteten mentalen Krankheiten wie Depression, Sucht und Obsessionen akribisch untersucht. Hinzu kommt ein großartiger „Reisebericht“ über die Geschichte und die Wirkung psychedelischer Substanzen, denn in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden psychedelische Substanzen von unzähligen Psychiatern als eine Art Wundermittel betrachtet, mit denen man psychische Erkrankungen nicht nur beeinflussen, sondern auch erfolgreich behandeln konnte. Danach folgte aber die Phase der staatlichen Repression: Als aber nämlich die beiden Wunderwirkstoffe LSD und Psilocybin »aus dem Labor entkamen« und von der US-amerikanischen und europäischen Gegenkultur (Stichwort „Hippie“!) vereinnahmt wurden, lösten sie beim konservativen Establishment eine veritable moralische Panik und einen Backlash aus.

Diese Gemengelage führte Anfang der 70er Jahre dazu, dass die Psychedelika vollständig verboten wurden und die diesbezügliche Forschung gezwungenermaßen eingestellt wurde. Aber dieses finstere Tal der staatlichen Repression scheint zumindest teilweise auf der Welt wieder überwunden worden zu sein. Denn seit zehn Jahren wird dank engagierter Wissenschaftler, Aktivisten und Psychonauten wieder auf dem Gebiet der Psychedelika eingehend geforscht. Diese Forschung verändert maßgeblich unser Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Gehirn und dem Bewusstsein. Einzelne Wissenschaftler beginnen, die »neurale Korrelation« von mystischer und spiritueller Erfahrung zu identifizieren und die Mechanismen, die bei so weit verbreiteten mentalen Erkrankungen wie Depressionen, Angstneurosen, Sucht und Obsessionen, aber auch bei ganz gewöhnlichem Unglücklichsein wirksam sind, besser zu verstehen. Der Autor Michael Pollan erkundet diese aufregende Thematik auf zwei sich überkreuzenden Wegen, zum einen journalistisch und historisch, zum anderen persönlich. Durch das Vertiefen in wissenschaftliche Erkenntnis und in die Erfahrung veränderter Zustände des Bewusstseins gelingt es ihm, unser Verständnis von Geist und Selbst und unserem Platz in der Welt neu auszuloten.

Diese so skizzierte brisante Mischung des Buches macht es so lesenswert. Zudem sei an dieser Stelle ein großes Lob für Pollans Stil ausgesprochen. Denn trotz der wissenschaftlich und begrifflich schwierigen Materie gelingt es Pollan einen Stil mit Sogwirkung zu entfalten und das Sachbuch liest sich an manchen Stellen rasant und spannend wie ein Kriminalroman oder Thriller. Ein wenig obskur wirken auf Gewohnheitsuser lediglich seine Ausführungen, als er sich mit knapp 60 Jahren entschloss, das erste Mal in seinem Leben einen LSD-Trip zu nehmen. Hier zeigen sich dann ein paar Eitelkeiten und „Schwächen“ des Autors, die er meines Erachtens nicht unbedingt in seinem Buch hätte ausbreiten müssen. So berichtet er von zahlreichen Besuchen bei seinem Kardiologen, da er Angst um seine Herzgesundheit in der Folge des LSD-Trips hatte. Die Beschreibung seiner eignen Trips gehören sicherlich auch nicht zum Glanzstück von „Verändere dein Bewusstsein“. Da gibt es deutlich bessere und interessantere Trip-Beschreibungen. Sie zeigen aber sicherlich auch, dass Pollan die nötige Distanz eines seriösen Wissenschaftlers zu seinem Gegenstand besessen hat. Doch die wenig überzeugenden Schilderungen der LSD-Erfahrungen tun der guten Qualität des Buchs keinen Abbruch. „Verändere dein Bewusstsein“ ist eine durchweg spannende, informative und kurzweilige Lektüre für alle Menschen, die einmal über den Cannabis-Tellerrand hinausschauen möchten.

Pollans Buch dürfte dafür sehr gut geeignet sein, auch wenn sich manche Details, wie seine Desavouierung von Timothy Leary und dessen Forschung nicht immer leicht nachvollziehen lassen. Dennoch: eine unbedingte Lese-Empfehlung.

Es folgt ein kurzes Interview mit Michael Pollan:

Warum stehen Sie den LSD-Experimenten von Timothy Leary so kritisch gegenüber? Ist es eher ein politischer Standpunkt oder aus wissenschaftlichen Gründen?

Mein Porträt von Leary ist ambivalent – er hat einige wichtige Beiträge geleistet (das Konzept von Set und Setting und seine rhetorische Brillanz, wenn es darum geht, Psychedelika an die Öffentlichkeit zu bringen), aber er verdient Kritik an der Rolle, die er bis zum Ende der Forschung in den späten sechziger Jahren gespielt hat. Leary verlor nämlich sehr schnell das Interesse an ernsthafter wissenschaftlicher Forschung, und seine verschiedenen öffentlichen Stunts machten es anderen Wissenschaftlern allmählich schwer, ihre Arbeit zu verrichten. Der Skandal in Harvard gefährdete das größere Projekt der psychedelischen Forschung – das ist nicht primär meine Meinung, sondern die von Forschern wie Humphry Osmond und Sydney Cohen. Also verdient er etwas „Schelte“ dafür. Gleichzeitig müssen wir jedoch anerkennen, dass wir in einer Welt leben, an der er mitgearbeitet hat. In dieser Welt haben Millionen von Menschen Psychedelika ausprobiert und sind daher offen für die Idee, ihre Möglichkeiten erneut zu recherchieren. Ohne seine Popularisierung der Psychedelika wäre die gegenwärtige Renaissance möglicherweise nicht in dem Maße erfolgreich. Es war aber auch Leary, der dazu beigetragen hat, eine Renaissance notwendig zu machen.

Was halten Sie von der Aussage von T.C. Boyle, dass Cannabis der kleine Bruder des LSD-Sakraments ist? Stimmen Sie zu oder nicht und warum?

Ich kenne das Zitat von Boyle nicht, aber manche Leute halten Cannabis für ein “mildes psychedelisches” Mittel und ich kann verstehen warum. Es unterliegt auch dem Einfluss von Set und Setting und kann auf verschiedene Weise geistig nützlich sein. Es funktioniert jedoch auf einer anderen Gruppe von Gehirnrezeptoren und chemischen Wegen als die sogenannten klassischen Psychedelika – dem Cannabinoid-Netzwerk und nicht das Serotonin-Netzwerk. Cannabis hat eindeutig therapeutische Vorteile, aber es ist erwähnenswert, dass es eine umfassendere wissenschaftliche Forschung über Psychedelika als Arzneimittel gibt als über Cannabis, die die US-Regierung Wissenschaftlern merkwürdigerweise erleichtert hat.

Warum sind Sie gegenüber Psychedelika so zögerlich, aber warum rauchen Sie gerne Pot?

Wer hat gesagt, dass ich gerne Cannabis rauche? Ich benutze es selten und ziehe es tatsächlich vor, Psychedelika zu verwenden, aber es ist viel schwieriger, das in das Leben zu integrieren und es erfordert viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Ich reagiere manchmal schlecht auf starke Cannabissorten und habe viel dunklere Gedanken als ich sie zum Beispiel bei Psilocybin besitze. Die Psychedelika sind meiner Meinung nach viel “sauberere” Medikamente mit weniger mentalen und physiologischen Geräuschen. Auf der anderen Seite ist Cannabis eine sozialere Droge und lässt sich leichter in den Alltag integrieren.

Was sind Ihre Lieblingssorten?

Ich fürchte, ich bin mit den aktuellen Entwicklungen nicht in Berührung gekommen. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich starke, berauschende THC-dominante Sorten mag, aber in letzter Zeit habe ich CBD-dominante Mischungen genossen, Balsam für einen zunehmend knackenden und schlaflosen Körper.

Befürworten Sie die Legalisierung von Cannabis in einigen US-Bundesstaaten? Denken Sie, dass es eine weltweite Legalisierung von Cannabis geben sollte? 

Ich bin für eine weltweite Legalisierung von Cannabis. Ich bezweifle, dass dies der richtige Weg für Psilocybin ist, das ich lieber als Arzneimittel testen, neu planen und genehmigen lassen und dann herausfinden möchte, wie es allen Menschen zur Verfügung gestellt werden kann, bei denen es das Potenzial hat zu helfen.

Vielen Dank für das Interview!

Artikel und Interview Christian Rausch

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Schnelles Login:

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare zeigen