Samstag, 13. April 2019

Elite oder Blender?

Die Waffen-SS als Hitlers überschätzte Prätorianer oder ein knallharter Elite-Verband, der den Krieg um zwei Jahre verlängerte?


Dieses Jahr häuft sich der Ausbruch des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. Gerade weil inzwischen so viel Zeit zwischen diesem schrecklichsten Ereignis des 20. Jahrhunderts und heute liegt, ist es an der Zeit, das kollektive, deutsche Gedächtnis an die verbrecherische, menschenverachtende und die Welt ins Unglück stürzende Kriegsführung des 3. Reichs zu erinnern.

Eine der wichtigsten Stützen des Deutschen Reichs war die Waffen-SS und zudem zugleich Hitlers direkter militärisch-politischer Arm. Die Bezeichnung Waffen-SS galt ab 1939, also dem Jahr, als Deutschland der Welt den Krieg erklärte, als offizielle Bezeichnung für die schon früher gegründeten militärischen Verbände der nationalsozialistischen Parteitruppe SS. Ein Jahr später gliederte sie sich organisatorisch aus und unterstand dem direkten Oberbefehl des Reichsführers SS, Heinrich Himmler. Innerorganisatorisch gliederte sich die Waffen SS sowohl in Kampfverbände als auch in Wachmannschaften der Konzentrationslager.

Die Kampfverbände der Waffen SS wurden während der Dauer des 2. Weltkriegs dem Oberbefehl der Wehrmacht unterstellt. Obwohl die Waffen SS auch am Westfeldzug teilnahm, schlug ihre „große Stunde“ erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion und den damit verbundenen Weltanschauungskrieg. Denn Hitler und andere NS-Größen hatten den Kampf gegen die „sowjetischen Untermenschen“ als Kampf zweier diametraler Weltanschauungen deklariert und erklärt, dass eine der beiden Kriegsparteien gnadenlos vernichtet werden würden.

Für diesen Weltanschauungskrieg eigneten sich die Krieger der Waffen SS hervorragend, da sie ideologisch in besonderem Maße auf die NS-Ideologie eingeschworen waren und politisch als besonders zuverlässig galten – im Gegensatz zu so manchen Teilen der Wehrmacht, die nicht immer ausschließlich als Hitlers willfährige Helfer und Henker galten. Eine wesentliche Funktion der Waffen SS bestand im Russland-Feldzug darin, die bereits eroberten Gebiete zu „säubern“. Dabei schreckte der „Schwarze Orden“ nicht vor den unvorstellbarsten Kriegsverbrechen zurück. Widerstandskämpfer wurden sofort liquidiert, Strafmaßnahmen betrafen auch Kinder und Frauen. In den Konzentrationslagern leistete die Waffen SS maßgeblichen Anteil daran, dass der Holocaust organisiert, strukturiert und durchgeführt werden konnte.

Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Waffen SS 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde. Zahlreiche Todesurteile gegen Mitglieder der Waffen SS wurden von den alliierten Siegermächten verhängt und durchgeführt – zugleich bedienten sich die West-Alliierten mitunter aber auch der Expertise, der Kampferfahrung und dem durch nichts zu erschütternden Anti-Kommunismus der Waffen-SS-Mitglieder, um sie als wertvolle Dienstleister im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu instrumentalisieren.

Jetzt hat sich der Historiker und Publizist Klaus-Jürgen Bremm mit seinem im WGB Verlag erschienen Buch „Die Waffen SS –Hitlers überschätzte Prätorianer“ mit dem Thema auseinandergesetzt. Um die Pointe vorwegzunehmen: Bremm zweifelt, wie der Untertitel bereits vorgibt, am wirkungsmächtigen Mythos der Waffen SS als dem militärischen Elite-Paradestück des 3. Reichs. Vielmehr konzediert er, dass der größte Erfolg der Waffen SS in der Nachkriegspropaganda bestand. Denn erst nach 1945 verstanden es die Ehemaligen der Waffen SS, einen Mythos zu kreieren, der ihre Leistungen im 2. Weltkrieg nicht nur deutlich überschätzte, sondern beinahe in den Status einer legendären Krieger-Kaste erhob.

Dies belegt Bremm immer wieder an Beispielen des Verhältnisses von Wehrmacht und Waffen SS. Zwischen beiden Organisationen herrschte schärfste Konkurrenz um die Gunst des „Führers“ Adolf Hitler. Doch bis zur totalen Niederlage konnte und wollte sich Hitler nicht durchringen, die Waffen SS der Wehrmacht gleichzustellen oder gar die Wehrmacht der Waffen SS unterzuordnen. Zu groß war wohl Hitlers Angst vor den ohnehin mitunter widerspenstigen Generälen der Wehrmacht und die damit verbundene Sorge vor einem Militärputsch – wie das Beispiel des 20. Juli 1944 eindrucksvoll zeigt. Formal blieb die Waffen SS in den Kampfverbänden der Wehrmacht unterstellt, und nicht selten beschwerten sich die Wehrmacht-Offiziere und Wehrmacht-Generäle über die Disziplinlosigkeit und das militärisch sinnlose Agieren von Hitlers Prätorianern. Dennoch hat die Waffen SS durchaus auch militärische Erfolge vorzuzeigen. So gilt zum Beispiel die Rückeroberung Charkows als ein Glanzstück der Waffen SS. Allerdings wurden im Jahr darauf bei der bis dato größten Panzerschlacht der Welt bei Kursk sowohl Waffen SS als auch Wehrmacht durch den in jeder Hinsicht materiell und in seinen Ressourcen überlegenen Gegner der Sowjetunion in die Schranken verwiesen.

Bremm wirft die Frage auf, ob die Waffen SS ein Ressourcengrab der Deutschen war oder ob sie die Dauer des Krieges um zwei Jahre hinausgezögert habe. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es diese zwei Extrempole. Meines Erachtens zeigt Bremm auf, dass es hier nicht notwendigerweise auf ein entweder-oder, sondern eher auf ein sowohl-als-auch hinausläuft. Denn einerseits erhielt die Waffen SS meistens die modernsten und besten Waffen, während die Wehrmachtstruppenteile mit minderwertigerem Material Vorlieb nehmen mussten. Hier wäre es militärisch unter Umständen zielführender gewesen, der militärisch, strategisch und taktisch versierteren Wehrmacht diese Kriegsmaterialien zukommen zu lassen. Allerdings zögerte die Waffen SS durch ihren bedingungslosen, oft todesverachtenden Einsatz für „Volk und Führer“ den Untergang des 3. Reichs um einige Zeit hinaus – ob dies für zwei Jahre zutrifft bleibe dahingestellt, aber für einige Monate auf jeden Fall. So kämpften nicht zuletzt mit ausländischen Kontingenten zusammengestellte SS-Einheiten bis zum Untergang in Berlins Regierungsviertel gegen eine schlichtweg erdrückende militärische Übermacht der Sowjetunion.

„Die Waffen SS – Hitlers überschätzte Prätorianer“ ist ein interessantes, lesenswertes Buch, auch wenn es gewisse Schwächen besitzt. Die Schwächen sind struktureller Natur, denn Bremm strebt eine kritische und fundierte Gesamtdarstellung der Waffen SS an. Neben Verfahren der Ideologisierung liefert er eine Organisationsgeschichte von den ersten Totenkopfverbänden und der Leibstandarte Adolf Hitler bis zu den schließlich 38 Divisionen der Waffen SS am Kriegsende. Dabei besitzt das Buch einige Längen, wenn es zum Beispiel um Beförderungen und innere Rivalitäten geht. Spannender sind hingegen Einzelschilderungen, wie massiver Drogenkonsum von SS-Kommandeuren und von ihnen begangene Kriegsverbrechen zusammenhängen. Natürlich konsumierten die SS-Schergen leider kein Cannabis, sondern Meth-Amphetamine, Alkohol und Opiate. Drogen- und Blutrausch gingen wohl nicht selten Hand in Hand. Dazwischen verfällt Bremm dann wieder auf militärgeschichtliche Ereignisschilderungen, welche Frontverläufe sich wann wie und warum entwickelten und welchen Anteil die Waffen SS daran hatte.

Das alles macht Bremms Werk ein wenig sperrig und zeigt die doch noch große Diskrepanz zu narrativen Meisterwerken, wie zum Beispiel „Das Ende“ des renommierten britischen Historikers Ian Kershaw. Dennoch lohnt sich die Lektüre von Bremm „Die Waffen SS“, sei es um die deutsche Kriegsschuld in ihren perfidesten Ausprägungen erneut vor Augen zu halten, oder aber um sich mit einem dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte insgesamt zu beschäftigen und dabei den von den Ehemaligen der SS konstruierten Mythos einer heldenhaften, siegreichen Waffen SS zu dekonstruieren.

Christian Rausch

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2 Kommentare
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Otto Normal
5 Jahre zuvor

Liebes HaJo wichtiger Artikel, sehr aktuell da die leute des gleichen Menschenschlages mittlerweile wieder in Amt und Würden sind und heutzutage wieder überall in der Justiz bis hin zum Verfassungsgericht anzutreffen sind. Volltreffer Klasse HaJo! aber: politisch angepaßte Sprache habt Ihr doch nicht nötig oder? Kriege sind keine Krankheit und “brechen” somit nicht einfach aus. Sie werden von verbrecherischen Politikern wie Franco, Mussolini, Hitler, Stalin, Bush sen., Bush jun. usw. begonnen oder in anderen Ländern angezettelt, so wie das die USA in der ganzen Welt tun. Sollte man deshalb anstelle von “Ausbruch des 2. Weltkrieges” zu schreiben (die Formulierung verschleiert nämlich die Schuldfrage) nicht besser das Kind beim Namen nennen? Exakter wäre z.B. “80 Jahre nach dem Überfall Nazideutschlands auf… Weiterlesen »

Kitty
5 Jahre zuvor

Das gute Buch will uns sagen ,Wartet nicht ,bis die Stasi Mörder 90 Jahre alt sind ! Last sie nicht ,in Frieden Sterben ! Und das die Diktatur ,nach 45 nicht zu Ende war . Was die SS ,mit Martialischem Auftreten erreicht hat ,konnte die Stasi mit subtilem Psycho-Terror , durchsetzen . Kritische DDR Bürger wurde mit Hilfe von Gangstalking , der gute Ruf zerstört ,die Ehe zerstört , die Gesundheit ruiniert ,sie wurden in den Selbstmord getrieben oder durch Killerkomandos getötet . Vorlaute ,Antiautoritäre Kinder wurden von den Pädagogen Gemobbt ,von Arzten in die Kur geschickt ,oder zu einer Notwendigen Medizinischen Operation . Danach waren die meisten ,stiller . Kritische Junge DDR Frauen wurden in Heime (Tripperburgen) Gesperrt und… Weiterlesen »