Samstag, 29. September 2018

Legalize it

 

oder

Macht kaputt, was Euch kaputt macht?

 

 

 

Autor: Christof Wackernagel

 

Wer, wie der Autor dieser Zeilen, das sagenumwobene und lorbeerbekränzte Rentenalter erreicht hat, kann in diesen bewegten Zeiten, insbesondere dem zwanghaften Jahrestagsjahr 2018, nicht nur auf 50 Jahre 1968 zurückblicken – was immer damit auch verbunden sein mag -, sondern in den meisten Fällen auch auf 50 Jahre Hanf am Start.

Da kann man schon ins Grübeln kommen.

 

Rückblick, Vergleich, Bestandsaufnahme.

 

Irgendwie war das alles anders vor 50 Jahren – aber wie, was und warum? Da war ein Aufbruch am Start – und wo ist der angekommen? Die gute alte Zeit – die beschissene Gegenwart? So einfach geht es natürlich nicht, das muss man schon genauer untersuchen.

 

»Wie alles anfing« – so lautet der Titel des legendären Buches des leider schon verstorbenen Bommi Baumann. Sein Motto: »High sein, frei sein, Terror muss dabei sein!«. Einige haben dies sogar allzu wörtlich umgesetzt und angewandt – aber die meisten von diesen sind tot, in der Klapse oder im Hartz-4-Netz gelandet. Dieser Weg war also offenbar eine Sackgasse – von der nur noch das »high sein« übrig blieb.Aber wenn man das Kiffen damals mit dem heute vergleicht, vor allem die Haltung der Kiffer dazu, kommt man nicht umhin, festzustellen, dass „high sein“ und „high sein“ offenbar nicht immer das Gleiche und schon gar nicht dasselbe ist.

 

Wie fing das an – und wohin kam es bis heute?

 

Als wir im Schulhof des königlich bayrischen Maximiliansgymnasiums in München auf dem Pausenhof unsere ersten Joints rauchten, fragten uns unsere Schulkameraden, was für komische Angeberzigaretten wir rauchten. Wir zuckten nur grinsend und rotäugig die Achseln – und freuten uns schon auf den nächsten Joint nach Schulschluss am Eisbach im englischen Garten. Wir machten, sobald der Rauch sich im Körper in Wohlgefühl verwandelt hatte, improvisierte Musik, erfanden zusammen absurde Geschichten und Theaterstücke, drehten Super-Acht-Filme beziehungsweise bald erste Schwarzweiß-Videos oder veranstalteten andere Kunstaktionen, und vor allem planten wir unser völlig neues Leben: mit vielen Leuten zusammenleben, ohne an bestimmte gebunden zu sein, wir bauten eine kollektiv geführte Druckerei auf, die durch eigene Lebensmittelproduktion auch noch später autark werden sollte. Antörnen hieß immer: etwas machen und wenn es – vor allem auf Trip -„nur“ geil vögeln war.

 

Und was rauchten wir?

 

Grünen Marokkaner, roten Libanesen oder schwarzen Afghanen bzw. Nepalesen – Ende der Durchsage. Gras kannten wir von den GIs, den ehemaligen Besatzungssoldaten, die das arme, hilflose Westdeutschland damals vor der „roten Gefahr“ aus dem Osten schützen mussten, uns Jungen aber die Underground-Kultur aus den USA beibrachten. Ihre dünnen Gras-Pur-Joints, die sie sich reinzogen, waren damals aber überhaupt nicht unser Ding: Joints mussten dick und fett und lang sein, entweder aus drei oder aus fünf Blättchen zusammengesetzt. Für die Filter sammelte man Streifenkarten der Münchner Verkehrswerke, zerriss Postkarten oder zur Not auch Buchdeckel; noch heute halte ich das Castaneda Buch meines inzwischen längst verstorbenen Freundes Ebby in Ehren, an dem oben eine längliche Ecke fehlt, die ihr Leben an einem fetten Joint ausgehaucht hatte. Das Zeugs erhitzte man und popelte sich andächtig Krümelchen für Krümelchen in den Joint.

Diesen ganzen angepassten Konsumquatsch – von wegen große Blättchen, Fertigfilter und Crusher – gab es nicht und hätte auch keiner gewollt. Und ich kenne keine/n der alten Hasen und Häsinnen von damals, die das heute angenommen hätten.

Für so etwas gab es einen Begriff: „Konsumterror“ nannte man das. Damit war gemeint, dass dieses dumme Geschwätz – eine blühende Wirtschaft sei nötig, sonst verhungerten wir alle – die Verbreitung von Angst und Schrecken war (=Terror), der die Menschen zwingen sollte, möglichst viel zu kaufen – um es möglichst schnell zu konsumieren und Neues kaufen zu müssen – damit die Dreckschweine, die sowieso schon mehr als genug Geld hatten, noch mehr bekamen. Also wie es heute immer noch – und viel mehr – der Fall ist. Nur heute hat es sich als Naturgesetz verkleidet – und nicht einmal die Kiffer merken es.

 

Womit wir beim ersten entscheidenden Unterschied wären:

Kiffen war nicht nur Ausdruck des Protestes gegen diese unerträgliche Gesellschaft, in der wir – nach wie vor – leben, sondern es öffnete die Augen und überhaupt alle Sinne, den menschen-, lebens- und lustfeindlichen Charakter dieser Diktatur des Profits zu sehen, zu spüren, zu erkennen. Und je unerträglicher dieses Spüren wurde, desto größer wurde die Notwendigkeit dagegen zu handeln, zumindest anzufangen es anders zu machen. Das Motto war: „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ oder in einem Wort gesagt: gegen.

 

Und heute?

 

In einem Wort gesagt: mit.

Der Staat, der die Menschen zu Ameisen machen will, soll nicht mehr abgeschafft werden, sondern so nett sein, dieses harmlose Hobby zu erlauben.

Und das Hauptargument, mit dem die Herrschenden dazu überredet werden sollen, ist das, woran die Welt kaputt geht: dass Existenzberechtigung und Legalität nur hat, was aus Geld noch mehr Geld macht.

Da hat sich ganz offenbar etwas in sein Gegenteil verkehrt. Was ist da schief gelaufen? Klar, das mit der freien Gesellschaft hat nicht geklappt und das mit dem „neuen Menschen“ schon gar nicht – leider, aber noch ist nicht aller Tage Abend – aber deswegen muss man doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Natürlich kann man den heutigen Jungen nicht vorwerfen, dass sie angepasst sind – wir sind ja mit unseren Versuchen gescheitert, alles vom Kopf auf die Füße zu stellen – aber dann könnten uns die heutigen Jungen doch zeigen, wie es besser geht, anstatt diese Strukturen zu reproduzieren, von denen alt und jung weiß, dass sie gar nicht gehen.

 

Der zweite signifikante Unterschied von damals und heute – und Ausdruck der ins Gegenteil verwandelten Haltung – ist das Verhältnis zum Alkohol. Alk war – und ist natürlich nach wie vor und heute mehr denn je – eine reine Verblödungsdroge, Dumpfbackengetränk, Spießergesöff. Alkohol, Krankheits- und Todesursache Nummer eins ist – neben Auto und Fernsehen – die Fessel, mit der die Profitgesellschaft Millionen und Abermillionen von potenziellen Menschen zu Arbeitstieren macht. Man stelle sich mal vor, die Arbeiter bei BMW, VW, Mercedes und wie sie alle heißen, rauchten Joints anstatt Bier zu saufen: die Autosüchtigen könnten lange auf ihre Schrott programmierten Blechkisten warten. Der Druck des Profitzwangs, die Demütigung am Arbeitsplatz, die Verachtung durch die Gesellschaft sind ohne Alkohol nicht auszuhalten, er ist Bedingung für das Funktionieren der Hölle auf Erden.

 

Im Gegensatz zu Cannabis – es lässt das Paradies auf Erden erscheinen, aber man muss etwas dafür tun, damit es auch verwirklicht wird, von nix kommt nix.

Schlaf- oder Aufputschtabletten: absolutes no go! Jeder und jedem war klar, dass dieser Chemieabfall nur eine einzige Funktion hat: die Hamster am Rad drehen zu lassen. Im Unterschied zur alten Sklavengesellschaft macht der heutige Sklave seine Arbeit gerne – das ist also heute „high“ sein, und das hätten wir uns in unseren übelsten Albträumen nicht vorstellen können. Polytoxikomane Wracks wie Muamar al Ghadafi, neben dem 24/7 ein Arzt dackelte, der einen ganzen Koffer voller Upers oder Downers im Angebot hatte, damit der Diktator sein Volk schuhriegeln und kleine Mädchen vergewaltigen konnte, sind typisch für die Funktion dieses Drecks, ohne den heute kein Politiker Reden halten, kein Anwalt seine Plädoyers in den Gerichtssaal schmettern, kein Arzt seine Kranken behandeln kann.

 

Da fragt man sich schon: Wie konnte sich das alles klammheimlich in Gegenteil verkehren?

 

Am Frappantesten ist der Unterschied im  Hinblick auf die Sexualität.

 

„Die psychedelischen Drogen sind keine Aphrodisiaka: häufig kommt während des Rausches kein sexuelles Verlangen auf; Bei entsprechender Vorbereitung oder Neigung kann es jedoch sehr schnell auftreten. Die Freisetzung von Energie im ganzen Organismus, die intensive Berührungs- und Reizempfindlichkeit, der Abbau der Abwehrmechanismen und Hemmungen, die veränderte Selbstwahrnehmung: alle diese Faktoren lassen die Steigerung des sexuellen Erlebens zu einer der Hauptmotivationen für den Gebrauch werden. Die explosive Verbreitung der psychedelischen Drogen in den Subkulturen der Jugend ist mit diesem Aspekt der Drogenerfahrung eng verbunden: die psychedelische Revolution ist nicht zuletzt auch eine sexuelle Revolution.“ 1

 

 

War nicht zuletzt auch eine sexuelle Revolution“, muss man heute leider sagen – nicht nur, weil heute jedes neue Shampoo revolutionär ist, sondern weil die erwähnte „Hauptmotivation“ heute nur noch ist, so „dicht“ es geht sich zuzudröhnen. Das hochgezüchtete Plattmachgras hat die Funktion von Alkohol übernommen: Flucht vor der Realität anstatt bessere Erkenntnis derselben. Keine Revolution, sondern ein Roll Back: vorbei die Zeiten, in denen die Maxime hieß „Keine Fixierungen“. Es wird wieder auf dem Amt geheiratet, Kinder werden in die Welt gesetzt und in der Kleinfamilie großgezogen, und Spießerbegriffe wie „fremd gehen“ feiern fröhliche Urständ. Dass es einmal darum ging, sich genau von derartigen Zwangscharakterpanzerungen zu befreien, ist vergessen.

 

Es ist immer das gleiche Phänomen: bloß weil der Versuch im ersten Anlauf nicht klappt und obwohl es genug Beispiele dafür gibt, dass sexuelle Befreiung ge- und erlebt werden konnte und kann, wird zurück zum Status quo ante gedreht und wieder ganz in weiß und bitte mit Kutsche geheiratet. Natürlich sind die hochfliegenden Träume der Vergangenheit nicht wahr geworden, hat, auf gut deutsch gesagt, die Revolution nicht geklappt. Vor allem die Mittel, mit denen sie verwirklicht werden sollte, waren falsch, selbst die Idee der Gegengewalt erwies sich als Trugschluss.

 

Aber waren deshalb auch ihre Ziele falsch? Sind strategische Grundüberlegungen, deren Realisierungen oft nicht mal über ein erstes Versuchsstadium hinausgingen, deshalb schon obsolet geworden? Ist es nicht im Gegenteil erst recht angesagt, nach neuen Lebens- und Umsetzungsformen zu suchen, wenn der erste Ansatz noch keinen Erfolg hatte?

Monogamie ist und bleibt eine Zivilisationskrankheit, die die Menschen vereinzelt, um sie beherrschbar zu machen. Eifersucht macht Menschen zu Waren, zu Besitz und zerstört dadurch die Beziehungen. Heute gibt es Bücher, die ein Loblied auf die Eifersucht singen und damit den Kampf eines jeden gegen jeden fördern, eben die herrschende Struktur verstärken, in der ein Prozent der Menschheit die Hälfte des Geldes der Welt besitzt und sie damit weiter in den Abgrund fährt. Und die Straffreiheit des zweitschönsten Genusses nach dem Sex ist nicht mehr mit „zerschlagt das Justizsystem“ verbunden, sondern biedert sich der größten terroristischen Organisation aller Zeiten an: der Börse.

 

Wie kommts zu dieser 180 Grad Wende?

 

Einen Teil der Verantwortung für die Misere, die 1967 nach der ersten Euphorie über die Hippies und die amerikanischen und englischen Subkulturen hereinbrach, müssen wir dem exzessiven Drogengenuss vieler Jugendlicher zuschreiben, die ihre Vision einer befreiten Gesellschaft in großen Marihuanawolken aufgehen ließen, anstatt zum Beispiel bei der Konstruktion einer ökonomischen Basis für den Untergrund mitzuarbeiten.2

 

Also das Gegenteil von:

„Für die politische Arbeit können die Drogen ein nützliches Hilfsmittel sein. Allein die Vermittlung zusätzlicher und qualitativ neuer Informationen über Selbst und Umwelt und die entkonditionierende Wirkung machen die psychedelische Erfahrung zu einer Notwendigkeit für jedes Individuum, das sich mit der Veränderung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Organisation und der Veränderung der Charakterstruktur beschäftigt. … Die psychedelischen Drogen können dem vierdimensionalen Bewusstsein vieler politischer Dogmatiker die Dimension der befreiten Sinnlichkeit und der Fantasie hinzufügen.“

 

Damit also hier noch die zentrale Erfahrung der sechziger Jahre, die bis heute nur in winzigen Ansätzen realisiert wurde:

 

„Die Hippies, die ihre Vision einer neuen befreiten Gesellschaft euphorisch und arglos praktizierten, mussten erkennen, dass die Grundlagen der Veränderung der menschlichen Existenz nicht allein durch chemisch induzierte Ekstasen und mystische Erfahrungen zu schaffen sind, sondern dass sie konkrete politische Aktionen in der sozialen Wirklichkeit erfordern. … Die psychedelischen Drogen haben einen wesentlichen Anteil daran, dass bei der schrittweisen Konstruktion der Gegengesellschaft zum ersten Mal die Überwindung der Negation praktiziert werden konnte: die Kritik an der Gesellschaft artikulierte sich nicht ausschließlich in der Negation und der destruktiven Aktion, sondern in der positiv formulierten Entwicklung einer neuen Sensibilität, neuer multimedialer Kommunikationsstrukturen, einer emanzipierten Sexualität und der schöpferischen Unterwanderung des Systems.“

 

Offenbar hat aber wohl eher das System seine Kritiker unterwandert, und nicht die Kritiker das System …

 

„Früher oder später erkennen die Leute jedoch“, hoffte der Leary Zeitgenosse und Mitstreiter Richard Alpert noch in den sechziger Jahren, „dass der Prozess der Integration der eigenen Vision in die alltägliche Existenz die wirkliche Arbeit ist – die fortlaufende und kritische Betrachtung der eigenen Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Motivationen, Handlungen, ausgehend von der Perspektive der neuen Bewusstheit. Diese kritische Betrachtung führt langsam zu Veränderungen in der Struktur des eigenen Lebens – Veränderungen der Kriterien, wie, wo und mit wem man seine Zeit verbringt; Veränderungen auf die Arbeitsweise und das Berufsleben bezogen, bis hin zum Berufswechsel; Veränderung der materiellen Bedürfnisse. Veränderungen der Fähigkeit, das Hier und Jetzt voll und bewusst zu erleben.“

Es wird Zeit, dass wir damit anfangen.

 

 

  1. Ronald Steckel in seinem in dieser Ausgabe besprochenen Buch über die bewusstseinserweiternden Drogen; auch alle weiteren Zitate stammen aus diesem Buch.

 

  1. Siehe auch Steckel, vor allem das Kapitel „Warnung“ Seite 78
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U-G
5 Jahre zuvor

Schoene Reise in die Vergangenheit, wo es wahrscheinlich etwas reiner war, reallativ mehr Frieden propagiert wurde als heutzutage. Ein Leben nach Fahrplan gleicht einer Endstation in Armut und das ist inakzeptabel! Die Jagd nach dem Kapital ist ausser Kontrolle geraten. Dennoch zerstoeren die Grosskapitalisten mit ihren Despoten verteilt in aller Welt, um die Menschen und den Planeten zu kontrollieren. Was ich genommen hab? Ne frische Prise aussenluft. Auch wenn es zur Legalisierung kommen mag, hoffe, werden kleingrower wie ich nicht mithalten koennen um die Huerden von Anmeldung etc. Bla bla blasen als Quali-Gaertner durchzukommen. Deshalb ist Deutschland, die Eu-nuchen, vor allem Anslinger und Konsorzium aller Gegner von Cannabis, auch aus dem Osten, am verkehrten Gedanken. Der Planet Aechzt… Ihr Penner… Weiterlesen »