Sonntag, 26. März 2017

Neulich im Jobcenter

 

 

Sadhu van Hemp

 

 

Um es gleich zu sagen: Ich bin ein Penner – also der, der sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung einen Lenz macht und sich durchschmarotzt. Das sollen jedenfalls die denken, die nicht wissen dürfen, dass ich zu Unrecht Arbeitslosengeld II beziehe. In Wahrheit bin ich nämlich wie jeder andere werktätig. Auch ich verdiene im Schweiße meines Angesichts mein täglich Brot, und meine Beschäftigung als Geschäftsmann hat mich längst zum Millionär gemacht. Nur wissen darf das niemand, denn mein Geschäft ist illegal, das mich gut und gerne für fünfzehn Jahre hinter Gitter bringt, wenn die Polente davon Wind bekommt. Doch keine Angst, ich bin weder Auftragskiller noch Whistleblower – viel schlimmer: Ich bin Btm-Fachhändler.

 

Um mein Business zu tarnen, bin ich seit zehn Jahren treuer Kunde des Jobcenters, das mir den lebenserhaltenden Freifahrtschein ausstellt, der mich als staatlich anerkannter Sozialschmarotzer vor meinen Nachbarn legitimiert. Die einzige Gegenleistung, die ich erbringen muss, ist, alle sechs Monate einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen und zur Lebendkontrolle anzutanzen. Bislang war das nie ein Problem, und keinem meiner Fallmanager ist es auch nur im Ansatz gelungen, mich in den Arbeitsmarkt wieder einzugliedern.

 

Doch neulich kam alles ganz anders als gedacht. Wie immer war ich so erschienen, wie von mir erwartet: verspätet, nach Alkohol stinkend, ungewaschen und eingekleidet aus dem Alt-Kleidercontainer.

„Ich verstehe das nicht, Herr van Hemp“, sagte die Fallmanagerin mit einem Blick, der nichts Gutes ahnen ließ. „Irgendwie will ich nicht so recht glauben, dass Sie das sind, den ich hier auf meinem Bildschirm habe. Ich sehe hier einen Mann, der ein abgeschlossenes Hochschulstudium hat. Sie sind Facharzt der Inneren Medizin und haben im Zentrum für Palliativmedizin in der Charité gearbeitet. Und nun sitzen Sie hier bei mir. Wie kommt’s?“

Ich zuckte kurz mit der Schulter und nuschelte: „Der Alkohol ist schuld. Erst kam die Wende, dann der Suff – und der hat mich zerstört.“

 

„So, so, der Suff also,“ hakte die vielleicht dreißigjährige Absolventin der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit nach. „Sie sehen aber gar nicht aus wie ein Alkoholiker.“

„Na, nun“, erwiderte ich und zeigte an mir herab. „Sieht so einer aus, der sich im Griff hat?“

„Also, ich sehe einen Mann, der seine Hände pflegt und über tadellose Zähne verfügt. Wie geht das zusammen? Kommen Sie, machen wir uns nicht vor! Sie haben sich extra für mich verunstaltet, um einen verwahrlosten Eindruck zu erwecken. Sie sind aber nicht verwahrlost, und alkoholkrank sind Sie auch nicht. Sie wollen mich täuschen. Aber warum?“

„Hören Sie, junge Frau!“, knurrte ich zurück. „Ich bin durch und durch asozial. Fragen Sie meine Nachbarn! Die werden Ihnen das bestätigen.“

 

„Ach was, Herr van Hemp! Sie sind ein Tiefstapler.“ Die graue Maus rollte mit ihrem Bürostuhl ganz dicht an mich heran und beschnüffelte mich. „Sie haben gar keine Fahne. Nur Ihre Kleidung stinkt nach Schnaps. Sie selbst aber tragen ein nicht gerade billiges Chanel-Parfüm. Ja, das rieche ich. Teure Düfte verfliegen nicht so schnell. Schon seltsam, was Sie sich alles leisten können.“

„Ach, iwo“, bellte ich zurück. „Ich gehe öfter in Parfümerien und teste dort die Düfte. Und seine Hände wird man ja wohl als Hartz-IV-Empfänger noch pflegen dürfen, wenn man schon keine Arbeit hat.“

„Och, daran soll es nicht scheitern, Herr van Hemp. Arbeit hätte ich genug für Sie. Nur leider gelingt es Ihnen immer wieder, dass die Arbeitgeber Sie nicht einstellen wollen.“

„Hören Sie, werte Frau“, erwiderte ich leicht genervt. „Was soll das Theater? Mit meinen knapp sechzig Jahren ist doch sowieso Hopfen und Malz verloren. Kommen Sie, drucken Sie die Wiedereingliederungsvereinbarung aus, ich unterschreibe – und gut ist`s.“

„Nichts ist gut, Herr! Ich habe mal ein bisschen recherchiert.“ Sie drehte ihren Bildschirm zu mir. „Und! Was sehen wir da? Richtig! Das ist die Website Ihres Golfclubs. Interessantes Umfeld, in dem Sie sich da bewegen. Hier, der zum Beispiel. Der Angeber postet auf seinem Facebook-Account ein Foto von seinem Segeltörn. Und wer war mit von der Partie? Genau, Sie, Herr van Hemp – umringt von nicht gerade billigen karibischen Schönheiten.“

Mir blieb die Spucke weg. Ein kompromittierendes Bild nach dem anderen erschien auf dem Bildschirm.

 

„Sie sehen, Herr van Hemp, ich weiß alles über Sie.“ Sie drehte den Screen wieder weg, lehnte sich zurück und legte ihre Stirn in Falten. „Und doch ist mir nicht klar, wie Sie Ihren aufwendigen Lebensstil finanzieren.“

„Ist es jetzt schon als Hartzi verboten, Freunde zu haben?“

„Nein, ist es nicht. Aber es ist auch nicht verboten, als Fallmanagerin die administrative Aufgabe wahrzunehmen, im Interesse des Leistungsträgers zu prüfen, ob überhaupt Anspruch auf Grundsicherung besteht. Und in Ihrem Fall habe ich eben so meine Zweifel.“

„Aha, und Ihre Zweifel begründen sich auf ein paar Fotos aus dem Internet.“

„Ja, durchaus. Ihr Persönlichkeitsprofil passt einfach nicht zu dem, was Sie mir hier vorspielen. Ich habe ja einem Verdacht.“ Sie sah mich eindringlich an, in Erwartung, ich würde zugeben, dass ich Genussmittelgrossist bin. Doch ich schwieg.

 

„Also schön, Herr van Hemp. Lassen Sie uns einen Weg finden, wie wir Sie wieder in Arbeit bekommen. Ich hätte da nämlich etwas für Sie, das Ihrem Profil entspricht. Wie ich den Unterlagen entnehme, haben Sie Kenntnisse im Umgang mit illegalen Betäubungsmitteln. Zweimal wurden Sie deswegen verurteilt. Und ob Sie es jetzt glauben oder nicht, aber genau so ein Experte wird gesucht.“

„Wie jetzt?“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Wollen Sie mich veräppeln, oder wie oder was?“

„Aber nicht doch, Herr van Hemp! Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn sucht exakt Sie. Ihre Aufgabe wird es sein, die neue Cannabisagentur aufzubauen.“

„Häh, ich soll wieder mit Haschgift dealen?“ Ich wurde lauter. „Sind Sie irre? Wollen Sie mich zu Straftaten anstiften?“

 

„Aber nein, das ist eine völlig korrekte Stellenausschreibung. Die Agentur ist sozusagen der legale Dealer für medizinisches Cannabis. Gesucht werden Mitarbeiter, die wie Sie Arzt sind und über fundierte Kenntnisse des deutschen Betäubungsmittelrechts verfügen. Sie erfüllen alle Voraussetzungen und dürften beste Chancen haben, auch eingestellt zu werden.“

„Aber nicht doch, das geht nicht“, stammelte ich auf der Suche nach einem Argument gegen diesen völlig absurden Vermittlungsvorschlag. „Ich .. ich .. ich darf das nicht. Die Richterin hat mir bei der letzten Verurteilung das Versprechen abgenötigt, nie wieder mit Drogen zu handeln. Andernfalls würde mir Sicherungsverwahrung drohen.“

 

„Das ist Quatsch“, wiegelte die Fallmanagerin ab. „Statt in Sicherungsverwahrung sitzen Sie künftig in einem klimatisierten Büro in Bonn mit Blick über den Rhein. 38,5 Wochenstunden für monatlich 2.874 Euro. Leichter und bequemer können Sie kein Geld verdienen. Und da Sie dem Ministerium unterstellt sind, müssen noch nicht einmal umziehen, sondern pendeln mit dem Flugzeug zwischen Bonn und Berlin. Na, wie hört sich das an?“ Sie sah mich wie ein Kind an, dem gleich ein großes Eis spendiert wird. „Gut nicht! Und deshalb habe ich bereits alles in die Wege geleitet. Sie werden morgen früh zu einem Vorstellungstermin erwartet.“

„Wie? Schon morgen?“

„Ja, morgen früh um sechs geht Ihr Flug.“ Sie zog ein Ticket aus der Akte und schob es mir zu. „Soll ich Ihnen noch einen Wertgutschein für anständige Kleidung ausstellen. Anzug, Hemd und Krawatte sollten Sie schon tragen, wenn Sie sich vorstellen.“

Ich saß wie paralysiert da, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

„Was ist?“ fragte die Jobcentertante nach. „Warum sagen Sie denn nichts? Sie gucken so komisch. Ist Ihnen nicht gut?“

 

Ja, kotzübel war mir, und ich war nah dran, den wilden Mann zu spielen und das Gespräch vom Sicherheitsdienst beenden zu lassen. Doch um meine Fallmanagerin nicht zu enttäuschen, griff ich ihre Frage nach meinem Befinden auf und fiel ohnmächtig vom Stuhl. Und so wurde ich von zwei Sanitätern aus dem Jobcenter getragen und zu meinem Hausarzt gefahren, der sofort eine Krankschreibung auf unbestimmte Zeit ausstellte. Am nächsten Morgen bin ich dann mit dem vom Jobcenter spendierten Flugticket nach Köln/Bonn geflogen – aber nicht um in der Bundesopiumstelle vorzusprechen, sondern um einen Geschäftspartner zu treffen, von dem ich noch eine Provision in Höhe der Jahresbezüge eines Angestellten der Cannabisagentur zu bekommen hatte.

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6 Kommentare
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Jamaican Boy
7 Jahre zuvor

Story Märchen Geschichte wie soll man das nennen? Ich bin ebenfalls beim jobcenter und wenn eine Mitarbeiter (in) jemals so herablassend mit mir geredet hätte… vermutungen verleumdungen Beschuldigungen “nicht gerade günstige karibische Schönheiten” hätte für mich schon den Straftatbestand 185 Stgb Beleidigung erfüllt. Die Frau muss ja schlimmer wie James Bond sein Trovato nummer eins wenn sie Aufgrund eines Bildes den Preis einer Frau bestimmen kann… Hört sich alles sehr frei erfunden an. Ich hab zwar mitwirkungspflicht im Jobcenter aber das geht eindeutig in die privatsphäre. Auch wenn jemand in meine safety zone eindringt um “meinen atem nach alkohol zu kontrollieren“. Der hätte ich ins Gesicht gehaun mit der Begründung der Selbstverteidigung da ich dachte die Frau wollte mir eine… Weiterlesen »

Anstalt
7 Jahre zuvor

Ja das ist offentsichtlich eine erfundene Geschichte und ich fand es echt witzig, Danke. Dann soll sich der Herr in der Geschichte halt in die Hose scheißen und im Vorstellungsgespräch bekommt er den letzten Platz als best duftender Bewerber plus Absage…. was rede ich da, als ALG Bezieher auf Kosten der Bürger und der Großkonzerne leben kann doch nicht gut sein… aber die Dame im Jobcenter wird merken, zwanghaft jemanden vermitteln, das kann auch die junge, frisch studierte und dazu naive (Note 1 vom ganzen Hörsaal) Dame nicht. Aber mal ehrlich, staatlicher Cannabis-Mediziner mit einer langen Liste als Großverbrecher im polizeilichen Führungszeugnis? Die Dame im Jobcenter hat wohl großzügige Vorstellungen. Aber gleich vom Stuhl kippen, Wahnsinn, dieses Talent gehört gefördert!

Jo
7 Jahre zuvor

Kann hier mal jemand aufklären? Ist das wirklich passiert?

Seit Jahren bei Fallmanagern? Kann nicht sein, da man nach spätestens 24 Monaten aus dem Fallmanagement zu nem normalen Sachbearbeiter abgegeben wird!

Außerdem bekommt man bei Arbeitsunfähigkeit irgendwann kein Hartz4 mehr, sondern Geld vom Sozialamt.

Und das Jobcenter wird nie im Leben einen Flug bezahlen!

Jemand
7 Jahre zuvor

Was Satire ist wisst ihr aber schon oder ? Steht sogar dick und fett drunter (unter dem “teilen” Block!)
Manche Leute haben echt die Aufmerksamkeitsspanne einer Bockwurst…

U-G
7 Jahre zuvor

Geiler Aufmacher Sadhu van Hemp!!!
Ich dachte erst Boah Hammer, der Sadhu der alte Lump und (un)heimlicher Millionär bekommt vom Zuhälter-Amt so ne geile Arbeitsstelle.

Doch wer schon mal bei diesen Zuhältern Hetz-4 war der weiß, auch wenn einer mal einen mit in seinem Privatflugzeug mit nach den nächsten Nutten-Domizil nimmt, um mal einen ordentlich einen abzuvögeln, ist Sex immer noch eine Privatangelegenheit!!!

Peace

srjosi
7 Jahre zuvor

Der war gut. Danke Herr van Hemp.