Freitag, 21. November 2014

Woher der Sound kommt

Die moderne Club-Kultur hat ihre Wurzeln in Jamaika

 

Text Martin Winkler & Jakob

 

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2014 ist es undenkbar in einen Club zu gehen, der nicht mindestens einen halbwegs guten DJ gebucht hat. Viele DJs sind zugleich ihr eigener MC oder bringen jemanden mit, der die Tunes kommentiert, moderiert oder betextet. Diese DJ- und MC-Kultur beherrscht die Clubszene seit ihrem Entstehen, Deejays erreichen mittlerweile denselben Kultstatus wie berühmte Musiker. Egal ob HipHop, Drum’n Bass, Techno, Hardstyle oder Reggae, Ragga und Dancehall – DJ und MC sind fester und nicht wegzudenkender Teil moderner Musikkultur. Aber woher kommt eigentlich die Idee, eine Platte aufzulegen und zur Instrumental-Version eines Musikstückes zu sprechen oder zu singen? Angefangen hat alles mit den ersten Sound Systems auf einer kleinen Insel in der Karibik. Damals tourten die ersten Soundsysteme durch die Straßen der Hauptstadt Kingston, Jamaika stand kurz vor seiner Unabhängigkeit von Großbritannien und im ganzen Land herrschte Aufbruchsstimmung. Diese Stimmung schlug sich kulturell in der Erschaffung eines eigenen Musikstils nieder, der ein neues, jamaikanisches Selbstbewusstsein widerspiegelte. Waren die ersten Soundsysteme noch mit importierten Rhythm ‘n Blues Scheiben unterwegs, entstanden bald schon eigene Produktionen, die aus einer Mischung aus Mento und R&B den Ska erschufen. Der Rest ist Geschichte. Die beiden Autoren haben zusammen mit dem Shalamanda Sound System aus Wien die Geschichte jamaikanischer Soundsystem recherchiert und sie auf dem diesjährigen Rise ‘n Shine Festival im österreichischem Falkenstein als Ausstellung präsentiert. Unsere Redaktion war ob der akribischen Arbeit begeistert und hat sich entschieden, diese Ausstellung als dreiteiligen Artikel im Hanf Journal zu präsentieren. Big Up nach Wien und viel Spaß beim Lesen!

 

1950-1960
Erste Soundsysteme
Tom The Great Sebastian / Sir Coxsone Dodd/Duke Reid / Count Machuki / Prince Buster /Duke Vin / Count Suckle / King Tubby

 

Prince Buster‘s Voice Of The People
Prince Buster‘s Voice Of The People

 

Ein Soundsystem kann heutzutage als unabhängig operierendes KünstlerInnenkollektiv mit selbst gebauten Lautsprecherboxen definiert werden. Das Soundsystem entwickelte sich bereits in den 1950er Jahren in den Straßen von Kingston (Jamaika), wo sich damals sehr wenige einen Radio oder Plattenspieler leisten konnten. Die waren damals eine wichtige Informations- sowie Unterhaltungsquelle. Daher wurden die seltenen, aus den USA importierten Rythm & Blues Schallplatten an den Straßenecken durch (anfangs kleine) Lautsprechersysteme von den ersten „Soundmen“ für die Masse gespielt. Die Deejays haben damals mit ihrer Funktion zugleich auch die Verbreitung von Nachrichten im Viertel übernommen. Häufig stand hinter einem Soundsystem eine (Schnaps-)Bar, die mit Einnahmen den Bau und die Nutzung der Boxen mitfinanzierte und dadurch auch versuchte, ihr Geschäft aufzubessern. Tom „The Grea“ Sebastian war mitunter für die ersten Outdoor-Soundsystem-Dances in Jamaika verantwortlich und eines der wichtigsten Soundsysteme der 50er. Coxone Dodd, Prince Buster, Count Machuki und Duke Vin haben hier ihre ersten Soundsystemerfahrungen gesammelt und später jeweils ein eigenes Soundsystem gegründet. Duke Reid sammelte seine ersten Erfahrungen ebenfalls bei Tom „The Great“ Sebastian und gründete danach ebenfalls sein eigenes Soundsystem „The Trojan“. Es war gemeinsam mit Coxsone’s Downbeat und King Edward’s Giant eines der dominanten Soundsystems dieser Zeit. King Tubby hat in weiterer Folge bei Duke Reid als Plattenschneider gearbeitet. Duke Vin wanderte mit Count Suckle gemeinsam nach England aus und gründete dort das Soundsystem „The Tickler“. Prince Buster gilt als einer der Mitbegründer von Ska, Rock¬steady & Reggae, arbeitete näher mit Coxsone Dodd zusammen und versorgte auch Duke Vin in England mit Musik. Durch die Migration vieler Jamaikaner nach England in den 50er, 60er und 70ern wurden Soundsysteme auch dort beliebt und es entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten eine große Szene.

 

 

1960-1964
Jamaika tanzt zum eigenen Beat

 

 

Studio One / Treasure Isle / Sonia Pottinger / U-Roy / The Wailing Wailers

 

Sir Coxsone Dodd im legendären Studio One
Sir Coxsone Dodd im legendären Studio One

 

Wichtig zu erwähnen ist hier besonders Sonia Pottinger: Sie ist die einzige Frau, die sich gegen die hauptsächlich männlichen Partner & Konkurrenten behaupten konnte. Sowohl als Geschäftsfrau als auch als Musikproduzentin hat sie maßgeblich zur Entwicklung der Musikgeschichte beigetragen. Unter anderem arbeitete sie mit bekannten Bands wie „The Ethiopians“ & „The Gaylads“ zusammen. Aufgrund der Tatsache, dass in den USA der Rythm & Blues immer mehr an Beliebtheit verlor, kam es zu Engpässen beim Nachschub von neuem Material und man war nun viel mehr auf die eigene Kreativität angewiesen. Die Leute wollten nach wie vor zu den beschwingten Melodien tanzen und feiern – so entstanden Ska & Rocksteady in dieser Zeit. Maßgeblich beteiligt waren hier natürlich das Studio One Label von Coxsone Dodd, auf dem das Debutalbum der Wailers (The Wailing Wailers) released wurde, sowie das Treasure Isle Label von Duke Reid.

 

Treasure Isle Studio, Bond Street, Kingston
Treasure Isle Studio, Bond Street, Kingston

Neben der Veränderung im Beat definierten sich auch die Deejays neu. Hier ist vor allem U-Roy zu erwähnen, der mit seiner Art zum Beat zu sprechen eine neue Form des Entertainments geschaffen hatte – das Toasting. Durch Duke Vin & Count Suckle gab es auch hier die ersten Exporte nach England (vor allem über den Link zu Prince Buster), wo auch langsam durch Migranten aus Jamaika die erste Generation an Soundsystemen entstand.

 

 

1964-1974
Die Erfindung von Reggae & Dub

 

 

Bob Marley / Lee Scratch Perry / King Jammy / Joe Gibbs / Killamanjaro Sound / Stone Love Sound

 

 

Mikey Chung with Augustus Pablo, Mikey Boo Richards, Jacob Miller & Inner Circle
Mikey Chung with Augustus Pablo, Mikey Boo Richards, Jacob Miller & Inner Circle

 

Lee Perry, der selber bei Coxsone als Plattenverkäufer startete, hatte seine Finger fast überall im Spiel und mit fast jedem zusammen gearbeitet, der auf der Insel mit Musik zu tun hatte. Vor allem West Kingston kann man hier als Geburtsstätte anführen. Durch die unglaublich gestiegene Soundsystem-Dichte Jamaikas konnte man fast schon an jeder Ecke der Insel Reggae hören und so wurde diese Art von Musik immer populärer – auch bei Touristen. Zwei Soundsysteme kann man in der folgenden Periode hervorheben – „Killamanjaro“ & „Stone Love“ wurden durch ihre mächtigen Soundsysteme und ihr professionelles Entertainment zu den weltbekanntesten Soundsystemen.

 

Mikey Chung with Augustus Pablo, Mikey Boo Richards, Jacob Miller & Inner Circle
Mikey Chung with Augustus Pablo, Mikey Boo Richards, Jacob Miller & Inner Circle

 

In dieser Periode haben sehr viele Faktoren zusammen gespielt, die für den heutigen Erfolg von Reggae Musik essentiell waren. Zum einen entwickelten Bob Marley und Lee Scratch Perry – beide musikalische Genies sondergleichen – den Rocksteady Beat weiter. Zum anderen bewirkte die Unabhängigkeit Jamaikas einen Anstieg des nationalen Selbstbewusstseins sowie eine Besserung der Stimmung im Land. Der Staatsbesuch seiner kaiserlichen Majestät Haile Selassie I aus Äthiopien im Jahr 1966 hat ebenso dazu beigetragen, dass die Musik – mit der sich mittlerweile auch Rastas identifizierten und ausdrückten – an Stellenwert gewann.

 

Fortsetzung im Dezember

 

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1 Kommentar
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Peg
9 Jahre zuvor

Sehr guter Beitrag 🙂