Sonntag, 17. August 2014

Interview mit Gentleman

von Janika Takats

 

gentleman-interview-reggae-artist-musik-hanfjournal

 

Foto: Beck To Music

 

„Das klingt viel wertvoller als Legalisierung – die Entkriminalisierung“

 

Er ist Deutschlands bekanntester Reggae-Künstler und einer der wenigen, die es geschafft haben auch auf Jamaika bekannt und anerkannt zu werden. Der in Köln ansässige Sänger ist bereits 20 Jahre in der Szene aktiv und hat die Bekanntheit von Reggae wie kein anderer in unseren Breiten vorangetrieben. Mehr noch –  er hat ihn mainstreamfähig gemacht. Ob das gut oder schlecht ist, sei offen gelassen. Gentleman ist stets ein Suchender, der sich vom Hype oder äußeren Einflüssen nicht verbiegen lässt. Das macht seine Musik glaubwürdig und authentisch. Nach der Veröffentlichung des Filmes „Journey To Jah“ in dem Gentlemans Geschichte erzählt wird, ist der Reggae-Künstler wieder auf Tour, um vor den Festivals noch mal an die Anfänge seiner Karriere zurück zu gehen.

 

 

Wie ist das Filmprojekt ‘Journey To Jah’ entstanden und wie war die Zusammenarbeit?

 

Die Macher sind auf mich zugekommen. Ursprünglich war Moritz in Äthiopien und wollte einen Film über Rasta machen. Er wollte einen Film drehen über Menschen, die in andere Kulturen eintauchen. Genau dies tun die drei Hauptcharaktere Terry Linen, Alborosie und Gentleman, die ihre Geschichte im Film erzählen. Die Dreharbeiten gingen über sieben Jahre, es waren allerdings keine sieben Jahre am Stück. Dadurch, dass wir eine so lange Drehzeit hatten, ist vieles möglich geworden, was in kürzerer Zeit nicht zu machen gewesen wäre. Die Jungs sind mir ans Herz gewachsen. Wir haben auch immer noch Kontakt und planen weitere Projekte zusammen. Noel hat danach alle meine Videos gedreht, es geht also weiter.

Noel und Moritz, die Filmemacher, sind tolle Menschen. Dadurch, dass ich mich so vertraut gefühlt habe, ist die Kamera quasi irgendwann verschwunden. Ich habe nichts gemacht, bzw. das gemacht, was ich sowieso gemacht hätte. Musik machen, mit meinen Jungs abhängen, auf Jamaika sein, über bestimmte Dinge sprechen. Irgendwann war die Vertrautheit einfach da und ich glaube dies macht den Film zu etwas besonderem. Ich war letztendlich nur ein Protagonist von mehreren. Es ist kein Film, der nur mit mir zu tun hat, auch wenn es der Titel so suggerieren mag. Es geht um essenzielle Fragen, es geht um Suchen. Um Fragen, nicht um Antworten. Darum offen zu sein für Dinge die passieren. Das macht den Film in meinen Augen so sympathisch. Ich glaube, dass jeder, der schon mal auf Jamaika war weiß, dass dies die einzige Möglichkeit ist auf der Insel zu ‘fließen’. Es geht darum für den Moment offen zu sein. Es gab eine Vision seitens der Filmemacher, aber es gab keinen Plan

 

 

Du bist einer der wenigen Reggae-Künstler, die sowohl auf Jamaika als auch in Europa und im Mainstream anerkannt sind. Hast du manchmal das Gefühl zwischen den Welten zu sein?

 

Andauernd. Ich bin mir allerdings nicht sicher, was das genau mit mir macht. Das versuche ich immer noch rauszufinden. Dieser Spagat ist wohl auf der einen Seite das Ziel von jedem. Ich kenne keinen Künstler, der sagt er wolle nur von den Leuten aus der Reggae-Szene gehört werden. Auf der anderen Seite ist es eine Herausforderung bei sich zu bleiben und trotzdem eine breitere Masse anzusprechen. Es gibt Phasen bzw. Situationen wo das funktioniert und andere wo es das nicht tut. Ich habe als Künstler, in dem Moment wo ich offen bin, die Möglichkeit, das was gerade passiert zu thematisieren bzw. anzusprechen. Musik ist meine Ausdrucksform.

 

Hast du das Gefühl durch dein Majorlabel manchmal in bestimmten Bereichen auch eingeschränkt zu sein, dass du vielleicht nicht so authentisch sein kannst wie du es gerne wärst?

 

Nein, überhaupt nicht. Es gibt dieses Image von diesen Majors ‘der große böse Major’, aber ist in meinem Fall nicht so. Das Label agiert nicht als Plattenfirma, die mit mir einen Künstlervertrag hat. Es ist ein Jointventure, das heißt wir sind Partner. Es war von Anfang an klar, dass ich dann am besten bin, wenn ich das machen kann was ich fühle. Natürlich ist eine Plattenfirma daran interessiert ins Radio zu kommen eben die breite Masse anzusprechen. Ich bin jemand, der Roots als seine Basis sieht, aber ich mag nun mal auch Dancehall und Popmusik und viele andere Genres und ich mag es damit zu spielen. Deshalb habe ich mich nie in eine Schublade stecken lassen. Auf dem ersten Album 1999 war schon Hip Hop, R’n’B und Dancehall drauf, obwohl Reggae immer mein zentraler Punkt ist. Ich glaube allerdings, das man nicht drum rum komm auch mal etwas andere auszuprobieren, wenn man sich so lange mit einer Sache beschäftigt.

 

 

Bist du der Meinung das Cannabis unter Achtung strenger Jugendschutzrichtlinien legalisiert werden sollte?

 

Ich bin immer für die Legalisierung gewesen und vor allem gegen die Kriminalisierung. Das klingt viel wertvoller als Legalisierung – die Entkriminalisierung. Das ist auch das wofür ich mich immer eingesetzt habe. Auch fernab vom Kiffen und dem Klischee des sich Wegballerns. Die Pflanze hat ein enormes Potenzial und die Kriminalisierung, die damit verbinden ist, ist sinnlos. Da muss von gesetzlicher Seite etwas passieren. Daher finde ich die derzeitige internationale Entwicklung gut.

 

 

In „Journey To Jah“ geht es auch viel um Spiritualität und Religion. Wie siehst du den Zusammenhang zwischen Spiritualität und Religion?

 

Religiosität ist an sich etwas Schönes. Der Ursprung des Worts, Religio, bedeutet Zurückführen, zum Ursprung zurückgehen. Genau das ist es auch, was ich an Rasta so mag. Es geht darum sich zu erinnern wo man herkommt, um zu wissen wo man hingeht. Religion stehe ich skeptisch gegenüber. Spiritualität wird immer als etwas Besonderes hochgepusht, ich denke, es ist das natürlichste was es eigentlich gibt. Wir können uns gar nicht unterhalten wenn wir keinen spirit hätten. Gerade Musik ist aus spirit gemacht, daher sind für mich alle Menschen, die Musik machen spirituell. Es ist der Stoff aus dem wir gemacht worden sind.

 

 

Ist das die Ausgangshaltung mit der du nach Jamaika gegangen bist? Du bist einer der wenigen Künstler, die auch als Nicht-Jamaikaner als Musiker auf der Insel anerkannt sind. War das am Anfang der Verbindungspunkt?

 

Ja, ich glaube, dass durch den spirit, der universell ist, sich Menschen treffen können, obwohl sie unterschiedlicher Herkunft sind und eine ganz andere Konditionierung haben. Ich bin Europäer und ich habe schlicht andere Wurzeln und eine andere Geschichte. Ich bin ein Kid aus der Mittelklasse.

Es gibt eine universelle Sprache und wenn es sie gibt, dann ist es Musik. Das habe ich immer wieder festgestellt und genau das ist Spiritualität. Dieses über die Grenzen hinauszugehen und zu sehen, da ist etwas, das uns alle verbindet, obwohl wir verschiedene Geschichten haben.

 

 

Wir reagieren die Menschen auf Jamaika, wie reagiert das Publikum auf dich?

 

Es ist schwierig zu sagen, wie ‘die Menschen’ reagieren, weil jeder einen anderen Vibe hat. Ich habe meine Motivation und meine Inspiration immer aus Jamaika bekommen. Auch aus Europa und aus den Reisen während meiner Tourneen, doch Jamaika war für mich immer der zentrale Punkt, wo alles angefangen hat. Dort habe ich die Musik auf einem anderen Level kennen gelernt. Ich bin nie dort hingekommen und habe gesagt: „Ich will auch Reggae machen“. Es ist einfach passiert. Es hat sich über die Jahre entwickelt und inzwischen sind es 20 Jahre!

 

 

Wenn du von Spiritualität sprichst, identifizierst du dich auch konkret mir Rasta oder hast du für dich eine eigene Spiritualität gefunden?

 

Ich habe viel von Rasta gelernt und stoße aber wie in jeder Religion an meine Grenzen. Mein Vater ist Pastor. Ich bin in der Kirche aufgewachsen und bin dort auch an meine Grenzen gestoßen. Ich glaube der Kern ist in vielen spirituellen Bewegungen der gleiche. Es ist eine sehr persönliche Sache, wie jeder das für sich auslegt und wie jeder damit lebt. Selassie ist nicht mein Gott, daher würde ich mich nicht als Rasta bezeichnen, aber ich habe eine Menge von Rastafari gelernt und von der Art und Weise bewusster zu leben. Ob ich das tue ist eine andere Geschichte. Die Rastas die ich kennen gelernt habe, waren mit sich und ihrem Umfeld im Einklang und auch sehr fortschrittlich in ihrem Denken. Trotzdem kam immer wieder der Punkt wo es dogmatisch wird. Es gibt ganz viele Fragen, die immer noch nicht beantwortet sind. Das ist für mich auf der einen Seite interessant, aber auf der anderen auch verwirrend. Ich bin auf der Suche und werde es wohl auch noch lange bleiben. Rasta ist dabei ein Teil im Puzzle.

 

 

Hat dich auf deiner Suche auch deine Afrikareise geprägt?

 

Afrika war so mit das intensivste was ich erlebt hab. Musik war das Transportmittel, um in eine ganz andere Sphäre zu gelangen. Das war meine erste Charityreise, ich unterstütze Viva con Aqua und Gemeinsam Für Afrika seit ein paar Jahren, aber ich war vorher noch nie auf Projektreise. Du kannst ganz anderes davon erzählen, wenn du mal vor Ort warst. Du kommst in Gegenden und kannst mit Leuten sprechen, die du als Tourist, aber auch als Musiker nie gesehen hättest. Mit Zeitzeugen von der Hungerkatastrophe zusammen gewesen zu sein, an einem Brunnen gestanden zu haben, den Viva con Aqua durch Konzerteinnahmen zusammen mit der Welt Hunger Hilfe gebaut hat und dieses Dorf kennen zu lernen wo der Brunnen steht, also vor Ort zu sein und dir bewusst zu machen, so ein Brunnen kostet 8000 Euro und versorgt eine ganze Community und eine ganze Stadt mit Wasser.

Die Menschen aus Sodo, so hieß der Ort, mussten vorher aus dem See trinken, dadurch verbreiteten sich viele Krankheiten und die Nachfrage nach Medikamenten, die nicht da waren, war groß. Dieser Kreislauf wird einem dann erst bewusst. Wasser ist die Essenz des Lebens, diese Thematik machen wir uns hier gar nicht mehr bewusst. Die Musik ist das Mittel, um diese Dinge bewusst zu machen und Menschen zu mobilisieren. Das alles macht auf einmal Sinn und steht in einem Zusammenhang. Dieses Image des verlorenen Kontinents, das wir in Europa oft von Afrika haben und das von den Medien verbreitet wird, dass die Spendengelder alle in ein großes schwarzes Loch fließen und durch die Korruption sowieso alles keinen Sinn hat.

Ich habe einen Kontinent kennen gelernt, der so viel Potenzial hat und so viel Schönheit und Möglichkeiten in sich birgt. Ich habe gemerkt, dass dort die Zukunft liegt. Wir können als Europäer und Amerikaner nicht so tun, als ob dies alles weit weg läge und uns nichts angeht. Es ist wichtig zu begreifen, dass die Globalisierung dazu führen sollte, dass uns bewusst wird, was dort passiert. Gerade die Zeit in Äthiopien waren zwei Wochen, die an Intensität kaum zu übertreffen waren. Ich bin immer noch dabei diese Zeit zu verarbeiten. Es gibt eine Dokumentation, die irgendwann erscheinen wird. Dadurch, dass Ivy Quainoo und ich dabei waren, war auch die dpa am Start. Ich habe dadurch begriffen, dass ich als Mensch in der Öffentlichkeit sensibilisieren kann. Es ist immer ein schmaler Grad, was Hilfsorganisationen angeht, doch es gibt wesentlich mehr Gutes als Schlechtes und es lohnt sich, sich dafür zu interessieren.

 

 

Du warst auch in Lagos und bist in Kooperation mit dem Goethe Institut aufgetreten. Hat dich das Goethe Institut eingeladen, um die deutsche Kultur zu vertreten oder wie lief das?

 

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht was die Initialzündung war. Ich war damals in Nigeria und habe für „arte durch die Nacht“ gedreht. Dort habe ich jemanden von Goethe Institut kennen gelernt.

Deutsche Kultur in dem Sinne ist es ja nicht. Ich bin ein Deutscher, der Musik macht, die in Nigeria, in Südafrika, im Senegal und der Elfenbeinküste gehört wird. Es gab dort immer Nachfrage, ob wir dort spielen können. Es war bisher organisatorisch nur immer scher gewesen dort mit 16 Leuten eine Tour zu spielen. Die Kombination aus einem Soundsystem mit den Charityprojekten und dem Goethe Institut hat es dann möglich gemacht und gleichzeitig auf ein Level gehoben, dass über die Konzerte hinaus ging. Das war für mich wichtig. Auf der ersten ausgiebigen Afrikatour sollte für mich mehr passieren als nur tolle Konzerte zu spielen.

Es gibt Projekte, wie Viva con Aqua und Gemeinsam für Afrika, die ich seit Jahren unterstütze. Auf der einen Seite wollte ich musikalisch vor Ort präsent sein und auf der anderen wollte ich mir die Projekte angucken. Jetzt haben wir es geschafft beides mit einander zu verbinden.

 

 

Du warst auch viel mit Femi Kuti auf der Bühne. Gibt es die Idee mal was zusammen zu machen?

 

Auf jeden Fall. Er hat mich auf die Bühne geholt. Auf Afrobeats zu singen, war erst mal schon merkwürdig, aber dann waren der Spirit und der Vibe da. Das hat meinen Horizont erweitert. Ich habe 20 Jahre fast ausschließlich nur Reggae gehört und merke jetzt gerade was es auch sonst noch gibt. Wenn ich mir das Nas & Damian Marley Album anhöre, habe ich mich lange gefragt, warum ich das Album so gut finde. Es sind nicht unbedingt die Hip Hop Beats, es sind die Samples von AfroJazz und von EthiaJazz.

In Afrika liegt ein unglaublicher musikalischer Reichtum, der mir die Augen geöffnet und mir einen Vibe für das nächste Projekt gegeben hat. Es kann also gut sein, dass auf dem nächsten Album ein Afrobeat mit drauf ist (lacht).

 

 

Du bist relativ oft in Berlin. Welche Verbindung hast du zu der Stadt?

 

Ich finde es immer geiler hier. Früher war ich gerne hier, aber auch froh wenn ich wieder weg war. Mittlerweile fühle ich mich sehr wohl in der Stadt und bin auch sehr oft hier, gerade im letzten Jahr. Meine komplette Band und meine Plattenfirma sind in Berlin und ich habe viele Freunde hier. Ich sehe die Seiten an Berlin, die ich vorher nicht begreifen konnte. Es liegt ein unglaubliches Potenzial hier. Ich glaube nicht, dass ich Köln verlassen werde. Reisen ist für mich inzwischen relativ geworden. Das ist mit Jamaika genau dasselbe. Ich bin so schnell da und brauche keine Anlaufzeit mehr, um anzukommen. Früher bedeutete eine Reise für mich eine Woche vorher nicht schlafen zu können. Mittlerweile sind wir die ganze Zeit unterwegs. Von Köln bin ich mit Taxi und Flugzeug in einer Stunde und 20 Minuten in Berlin. In Berlin brauche ich von A nach B eine Stunde und 30 Minuten. Es hat sich alles relativiert.

 

 

Du hast lange keine Soundsystem Shows mehr gespielt. Kam durch die Afrikareise für dich die Inspiration, dies auch mal wieder in Deutschland zu tun?

 

Wir haben an sich schon vorher beschlossen mal wieder Soundsystem Shows zu spielen. Jetzt kommen die Festivals wieder, die Platte ist durch und das ist der Moment wo ich das Gefühl habe, ich möchte zurück zu den Anfängen gehen. Ich will dieses intime Clubfeeling wieder spüren bevor ich wieder auf den großen Festivalbühnen stehe.

 

 

Vielen Dank für das Interview.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Schnelles Login:

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare zeigen