Montag, 16. Dezember 2013

Interview mit Mathias Bröckers

Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf – Jack Herer und Mathias Bröckers
Jubiläumsausgabe zum 20. Jahrestag der Erstveröffentlichung.

 

Mathias Bröckers
Mathias Bröckers – Foto: Facebook

„Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ gehört zu den absoluten Klassikern der Szene und bedarf wohl kaum einer gesonderten Vorstellung. Dieses Buch hat wohl wie kein anderes die Legalisierungsbewegung beeinflusst und vorangetrieben. Sein Verfasser Jack Herer ist 2010 verstorben und konnte leider den grandiosen Wahlsieg in Colorado und Washington nicht mehr miterleben, doch hat er viel dazu beigetragen, diesen Sieg zu erzielen. 20 Jahre ist es jetzt her, dass das Buch zum ersten Mal erschienen ist und dennoch hat es nichts an seiner Aktualität verloren. 123.000 Exemplare wurden bisher gedruckt. Anlässlich der 42. Auflage und Jubiläumsausgabe haben wird dem Herausgeber der deutschen Ausgabe Mathias Bröckers ein paar Fragen zum Buch gestellt.

 

Das Buch stammt aus dem Jahr 1993. Warum sollte man es heute noch lesen?

Mit dem Buch haben die Menschen in Deutschland, in Europa und vorher auch schon in Amerika wieder begonnen, von Hanf zu reden und nicht mehr nur von ‘Hasch’ oder von ‘Drogen’. Hanf in seiner Gänze ist wieder ins Blickfeld geraten. Die ganzen Aspekte, die wir recherchiert und für das Buch zusammengetragen haben sind nach wie vor höchst relevant. Sprich zum Beispiel die medizinische Anwendung. Damals habe ich Anrufe von Ärzten bekommen, die dachten, wir hätten uns die Fakten, die wir im Buch erwähnen nur in unseren bekifften Köpfen ausgedacht. Sie wollten nicht glauben, dass das alles Fakten sind und dass Hanf eine der ältesten Heilpflanzen der Welt ist. Was die Nutzpflanze angeht, hat sich das jetzt ein Stück weit geändert. Dass man aus Hanf Textilien, Öl und Energie gewinnen kann, war damals unbekannt. Heute haben sich diese Tatsachen wieder etwas etabliert – noch nicht auf den Feldern, aber zumindest in den Köpfen der Leute. Was wir in dem Buch angeschnitten und gefordert haben, ist bis heute nicht realisiert und deswegen gibt es heute die 42. Auflage. Ich bin überzeugt, dass wir mindestens noch einmal 20 Jahre brauchen, bis das alles geschafft ist, was in ‘Hanf’ gefordert wird.

Hättet ihr vor 20 Jahren damit gerechnet, das “Hanf” ein Bestseller, ja sogar die „Legalisierungs-Bibel” wird?

Ich hätte damals selbst nicht damit gerechnet, dass Jack und ich ein Standartwerk schaffen würden, dass jeder, der sich mit Hanf in irgendeiner Form befasst im Regal stehen hat.

Ich habe das Buch von Jack, das damals noch gar kein richtiges Buch war, sondern eher eine Broschüre, in die Hände bekommen. Damals in den 80er Jahren war ich bei der TAZ als Redakteur tätig und hatte schon öfter für sie drogenpolitische Themen bearbeitet. Die darin enthaltenen Informationen waren mir zum großen Teil neu. Ich habe einigen Verlegern erzählt, dass es in den USA ein neues und interessantes Buch gibt, doch keiner war interessiert bzw. wollte sich die Mühe machen es zu übersetzen. 1992 habe ich mich dann nochmal an den Verlag Zweitausendeins gewendet. Sie waren interessiert, aber meinten, dass es in der Form zu ‘freaky’ wäre und dass man daraus ein seriöses Buch machen müsste. Sie haben mir angeboten die Redaktion und die Herausgeberschaft zu übernehmen und eigene Recherchen beizusteuern. zu dem was in Deutschland und Europa mit Hanf passiert ist. Das habe ich dann getan. Ich bin selbst in die Archive und Bibliotheken und habe mich in das Thema eingearbeitet. Es wurde immer spannender und ich habe festgestellt, dass sich seit dem 2. Weltkrieg niemand mehr um das Thema gekümmert hat. Nachdem ich alle Informationen zusammengestellt habe, schickte ich das Ergebnis an den Verlag, doch der meinte uns würde das alles niemand glauben und wir bräuchten noch irgendein Gutachten von einer seriösen wissenschaftlichen Institution. So einen ‘Hippi’ aus den USA und einen TAZ-Redakteur würde keiner ernst nehmen. Ich konnte daraufhin das Katalyse Institut dafür gewinnen eine Studie auf wissenschaftlicher Basis über Hanf zu machen. Diese haben wir dann an das Buch ran gehängt und so ist es erschienen.

Die aller erste Rezension erschien damals in der Zeit und war ein totaler Verriss. Das stand so was wie: „da sind ein paar durchgeknallte Kiffer, die erzählen was von Öko und Medizin, aber eigentlich wollen sie nur legal kiffen…“. Das hat sich dann aber recht schnell geändert. Im Spiegel und in anderen Zeitungen erschienen sehr gute, ausführliche Besprechungen, von Leuten, die unsere Arbeit anerkannt haben.

Dann war die Aufmerksamkeit, die das Buch bekommen hat also von Anfang an recht groß?

Das Buch hat Wellen geschlagen, wegen all der unbekannten Informationen, wie dass alles Papier früher aus Hanf gemacht war und jetzt die Bücher, die nach 1850 gedruckt wurden, kaputt gehen, weil diese auf Holzpapier gedruckt sind, dass die erst Levis Jeans aus Hanf war, dass Henry Ford ein Hanfauto gebaut hat, all diese Dinge wusste vorher niemand. So haben wir ein gutes Feedback bekommen und das Buch wurde zum Selbstläufer. Ich habe damals für das Buch das erste Hanfpapier nach dem 2. Weltkrieg herstellen lassen (die erste Ausgabe wurde auf Hanfpapier gedruckt). Danach entstand wieder eine riesige Nachfrage nach Hanfpapier.

Danach habe ich das Hanfhaus gegründet, die erste Firma, die sich wieder um Hanftextilien, -öl, -papier etc. gekümmert hat. So kam in den 90ern der Hanf-Boom zustande, der im Wesentlichen durch das Buch hervorgerufen wurde.

Welche Aspekte sind seit der Veröffentlichung neu dazu gekommen?

Es sind einige Aspekte neu dazugekommen und die Forschung, die wir damals vorgestellt haben, ist weiter in die Tiefe gegangen. Zudem musste ich auch für die 42. Auflage nichts korrigieren, was eindeutig für die Qualität unserer Recherche spricht. Die bürgerlichen Medien hätten uns mit Handkuss in der Luft zerrissen, wenn da Schwachsinn drin stehen würde. Aber es steht eben keiner drin und all die Fakten sind solide und gut.

Der wichtigste Aspekt, der meiner Meinung nach dazugekommen ist, ist dass wir es geschafft haben, dass mit diesem Buch die Debatte über Cannabis als Heilmittel wieder an die Universitäten, die Arztpraxen und in die Pharmazie gekommen ist. Wichtig ist, dass Cannabis als Medizin wieder zugelassen ist, wenn auch zurzeit nur als Dronabinol und dass die medizinische Forschung weiter geht.

Ich habe mit Jack 1995/96 in Kalifornien gestanden und Flugblätter für medizinisches Marihuana verteilt und im November 1996 wurde es zugelassen und ist inzwischen in 20 Bundesstaaten erhältlich. Wir haben den Hanfanbau in Brandenburg per Gerichtsverfahren durchgesetzt und Hanf wieder auf die Felder bekommen. Damals gab es noch keine Erntemaschinen für Hanf. Als wir unsere erste Ernte hatten, war auch die Presse eingeladen. Die Pflanzen waren vier Meter hoch und schon nach wenigen Metern ist der Mähbalken kaputt gegangen. Es gab damals keine Technologie, um diese mächtigen Pflanzen zu ernten. Dies hat sich mittlerweile geändert. Ben Dronkers, der Gründer von Sensi Seeds, hat Hempflax gegründet und viel Geld in die Erforschung der Maschinerie und der Technik gesteckt. Es hat sich ja seit dem Krieg kein Ingenieur darum gekümmert. Es hat sich sehr viel getan, dennoch sorgt die Prohibition dafür, dass die landwirtschaftliche Nutzung nur schleppend voran geht. Auch Pharmaindustrie und das Bundesamt für Arzneimittel sorgen dafür, dass man im medizinischen Bereich als schwer kranker Mensch erst nach Gerichtsverfahren sein natürliches Cannabis bekommt. Es ist alles noch sehr mühselig aber im Schneckentempo geht es voran.

Autor Jack Herer ist mittlerweile verstorben. Wie groß ist deiner Einschätzung zufolge sein Einfluss auf die sehr erfolgreiche Hanf-Bewegung in den USA?

Jack Herer ist der US-amerikanische ‘Hanf-Papst’ gewesen. Er war ein unermüdlicher Kämpfer. Er ist kurz nach einer Rede gestorben, die er sehr empathisch gehalten hat. So war Jack, sobald du ihm ein Mikro hingehalten hast, hat sich der Mann wahnsinnig aufgeregt und verkündet, dass wir erst Ruhe geben dürfen, wenn auch der letzte Gefangene aus dem Knast frei ist. Er hat voll dahinter gestanden und war für die USA der wichtigste Hanfaktivist der letzten Jahrzehnte. Was er für die Legalisierung von medizinischem Marihuana erreicht hat, war großartig und ich bedaure sehr, dass wir einen wie Jack nicht mehr haben. Wir haben ihn oft nach Europa zu Hanfmessen und ähnlichen Veranstaltungen eingeladen. Er war für mich der wichtigste Aktivist in den USA. Ihm ist noch keiner nachgewachsen, aber die nächste Generation hat diesen Staffelstab aufgenommen und führt seine Arbeit fort.

Colorado und Washington sind die erste beiden Staaten, die eine vollständige Legalisierung beschlossen haben. Sie sind vor allem vorbildhaft für das, was wir hier in Europa auch erreichen müssen. Diese Gesetzte sagen nicht nur, dass man für den Privatkonsum anbauen kann. Sie  Legalisieren den kommerziellen Anbau und regeln die Steuersätze. In ihnen steht auch, und das ist das entscheidende, wie die Steuern, die durch die Hanflegalisierung eingenommen werden, verwendet werden sollen. Nämlich nicht für die Armee oder den Bau von Autobahnen sondern für eine sinnvolle Gesundheits- und Drogenpolitik, für Aufklärung, Bildung und Prävention, aber auch für die Verbesserung der Rehabilitation von Leuten die mit Alkohol und harten Drogen Probleme haben. Wir werden auch hier in Deutschland und Europa nach der Legalisierung staatlicherseits viel Geld einnehmen und das muss genau in diese Dinge gesteckt werden.

Wie lange wird es noch dauern, bis das Potential von Hanf so umgehend ausgeschöpft ist wie in dem Buch beschrieben?

1994 habe ich mit Jack eine große Tour gemacht, durch zehn deutsche Städte. Wir haben das Buch vorgestellt und Diskussionen geführt. Ich habe gesagt „in diesem Jahrtausend werden wir es nicht mehr erleben.“ Die Leute meinten damals, ich solle nicht so pessimistisch sein, denn jeder der das Buch gelesen hat, war der Meinung, dass sich Übermorgen alles ändern müsste. 20 Jahre später kann ich mich immer noch maßlos darüber aufregen, was alles an falscher Politik betrieben wird und würde sagen, dass muss morgen aufhören. Nachdem die USA vorangegangen sind, würde ich sagen, dass es bei und noch ca. zehn Jahre dauert, bis bei uns die Basis geschaffen ist, dass Hanf legal konsumiert und verkauft werden darf, dass Hanf als Medizin legal ist und das wir das Potenzial der Pflanze auch wieder richtig nutzen.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast.

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