Samstag, 7. September 2013

Unerwünschte Nebenwirkung

Wie ein Staatsbesuch einem Cannabispatienten den Führerschein kosten kann

Bernd V. versteht die Welt nicht mehr – Foto: privat

Joachim Gauck hat vor nicht allzu langer Zeit der Cannabispatientin Ute Köhler aufgrund ihres mutigen Einsatz für Cannabis als Medizin das Bundesverdienstkreuz verliehen – für ihre Medizin muss Frau Köhler übrigens weiterhin kämpfen, die Kasse zahlt bis heute nicht.

Davon inspiriert hatte sich Cannabispatient Bernd V. (53), der aufgrund eines Glaukoms über eine Ausnahmegenehmigung für Cannabisblüten besitzt, am 10. April auf den Weg gemacht, um den Besuch des Bundespräsidenten in seiner Heimat dazu zu nutzen, ihn auf die offensichtliche Misere deutscher Cannabis-Patienten aufmerksam zu machen. Gesagt, getan, doch sein allgemeiner Zustand („Ich habe vor Aufregung gezittert, schließlich quatscht man ja nicht jeden Tag mit dem Bundespräsidenten“) verlangte nach seinem Medikament, und so stellte sich der Erlaubnisinhaber eine halbe Stunde vor Eintreffen des Bundespräsidenten ein wenig abseits der Menschenmenge und inhalierte den in der Apotheke erworbenen Medizinalhanf. Sicherheitspersonal und Polizei schnüffelten umgehend Unheil, nahmen seine Personalien auf sowie ihn und seine Medizin fast in Gewahrsam, was Herr V. durch Vorzeigen seiner Ausnahmegenehmigung gerade noch verhindern konnte.

Das Staatsoberhaupt wurde dann während seines Gesprächs mit Bürgerinnen und Bürgern der niedersächsischem Kleinstadt von Bernd V. freundlich auf den offensichtlichen Missstand aufmerksam gemacht, auch andere nutzen die seltene Gelegenheit, Herrn Gauck auf ihr Anliegen in Form eines Transparents oder eines kurzen Dialogs aufmerksam zu machen. Der Bundespräsident nahm dann viel Applaus sowie die vereinzelte Kritik einiger Anwesenden mit auf den Heimweg. Auch der kritische Patient konnte sich nach Vortragen seiner Kritik unbehelligt auf selbigen machen.

Tags darauf klingelte es an seiner Wohnungstür, wo zwei Beamte der Göttinger Kriminalpolizei standen und nach Einlass verlangten. Bernd V. ist sich als Cannabispatient seiner Rechte bewusst und konnte den ungebetenen Besuch wiederum nur durch Vorzeigen des Papiers der Bundesopiumstelle davon überzeugen, dass sie in seiner Wohnung nicht verloren oder zu suchen hätten. Konstaniert zogen die Ermittler ab, jedoch nicht ohne flugs noch den Apotheker von V. am Arbeitsplatz zu besuchen, um beim verdächtigen „Dealer“ weiter zu ermitteln. Sie holten sich jedoch auch vom Pharmazeuten eine satte Abfuhr.
Kurze Zeit später wusste sowohl die Erlaubnis erteilende Behörde (BfArM) sowie die zuständige Führerscheinstelle darüber Bescheid, dass der auf einem Auge erblindete V. es gewagt hatte, seine Medizin unterwegs, abseits seiner vier Wände, einzunehmen. Die Folgen sind ein „Blauer Brief“ der Bundesopiumstelle, die ihm für den Wiederholungsfall den Entzug der Ausnahmegenehmigung androht sowie, was viel schwerer wiegt, der sofortige Entzug der Fahrerlaubnis seitens der Fahrerlaubnisbehörde.
Dabei spielt es keinerlei Rolle, dass V. Cannabispatient ist, dass keine Rauschfahrt oder ein anders Verkehrsvergehen vorliegt und dass der Betroffene seit Jahrzehnten unfall- und rauschfrei Auto fährt – die Pappe ist erst einmal weg. Der geforderte Abstinenznachweis komme für ihn als Glaukom-Patient nicht in Frage, weil ihm seine Gesundheit wichtiger als die Fahrerlaubnis sei. Auch ein Einspruch ist gegen den Bescheid nicht möglich, da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der betroffene Patient kann erst dann auf Wiedererteilung klagen, wenn der Führerschein bereits weg ist.

Sehr wahrscheinlich wird sich Herr V. also auf eine lange Zeit als Fußgänger einrichten müssen, weil er auf das Unrecht aufmerksam machen wollte, das notleidenden Patienten, ob ohne oder selbst mit Ausnahmegenehmigung, tagtäglich widerfährt.

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